Wenn Lars Klingbeil Werbung für den Koalitionsvertrag macht, hilft ihm dabei die AfD – als Schreckgespenst. „Wenn das scheitert, dann wird es Neuwahlen geben, oder dann wird es vielleicht eine Minderheitsregierung geben“, sagte er am Montagabend in Hannover. Dort trafen sich SPD-Mitglieder, um sich von Klingbeil, Hubertus Heil und anderen erklären zu lassen, warum sie für eine Koalition mit CDU und CSU stimmen sollen.
Klingbeil sagte, es bestehe die Gefahr, dass in der Union der Ruf nach einer Normalisierung des Verhältnisses zur AfD lauter werde. „Da wird ein Ablehnen des Koalitionsvertrags nicht zu Nachverhandlungen führen, sondern dazu führen, dass die Stimmen in der Union stärker werden oder sich gestärkt fühlen, die sagen: Es gibt ja noch Alternativen zu den Sozis, die sind uns zu anstrengend.“ Wie er hinzufügte, habe er solche Drohungen nicht von CDU-Chef Friedrich Merz gehört.
Der hat tatsächlich eine Minderheitsregierung unter Duldung der AfD oder eine Koalition ausgeschlossen. In seinem Umfeld gibt es aber etwas, das auf der Linken als „Lockerungsübungen gegenüber der AfD“ aufgefasst wird, wie die „Frankfurter Rundschau“ kommentierte. Am Wochenende sprach sich Fraktionsvize Jens Spahn dafür aus, mit der AfD im Bundestag so umzugehen wie mit allen anderen Parteien auch.
Auch Wadephul äußert sich
Dabei bezog er sich auf Abläufe im Parlament, Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen und der Berücksichtigung von Minderheits- und Mehrheitsrechten. „Da würde ich uns empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen, wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch.“ Damit meinte er aber nicht das Präsidium des Bundestags. Der AfD-Kandidat für einen Vizepräsidenten-Posten müsse eine Mehrheit finden. Es gehe schließlich um ein Staats- und Repräsentationsamt. Dass ausgerechnet Spahn sich dafür ausspricht, ist keine Überraschung. Insbesondere in der Migrationspolitik hat er schon früh AfD-ähnliche Positionen vertreten.
An diesem Dienstag stieg CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul in die Debatte ein. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte er, AfD-Politiker sollten Ausschussvorsitzende werden können. „Der AfD die Ausschussvorsitze zu verweigern, hat dazu geführt, dass sie ihren Märtyrerstatus aufrechterhalten können“, sagte er. „Deswegen wäre ich dafür, AfD-Kandidaten für Ausschussvorsitze zu wählen, wenn sie in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sind.“
Die AfD sei die zweitgrößte Fraktion im Bundestag, „diese Realität müssen wir anerkennen“, sagte Wadephul weiter. Bei Fehlverhalten sollten die Vorsitzenden auch wieder abberufen werden können. „In die neue Geschäftsordnung wollen wir explizit aufnehmen, dass sie auch wieder abgewählt werden können, wenn sie sich nicht korrekt verhalten“, sagte der CDU-Politiker. Er kündigte an, dass es zum Umgang mit der AfD im Bundestag eine Debatte in der Unionsfraktion und Gespräche mit der SPD geben werde. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist als Außenminister im Kabinett Merz im Gespräch.
Auf kommunaler Ebene keine klare Brandmauer
Besonders weit gehen diese Forderungen nicht. Spahn und Wadephul wissen aber, dass sich viele an der Basis eine deutlich weitgehendere Öffnung hin zur AfD vorstellen können. So forderte der Kreisverband Harz kürzlich, die Brandmauer zur AfD einzureißen. In einem Beschluss heißt es, die CDU habe die Bundestagswahl im Osten „klar verloren“. An der CDU-Basis rumore es massiv. Der Kreisverband fordert daher eine Aufhebung des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Union zur AfD. Der Parteitagsbeschluss verbietet eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen Partei, allerdings nicht auf kommunaler Ebene. Dort hat die Brandmauer große Löcher. Laut einer Studie des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gilt das aber nicht nur für die CDU. Selbst die Linke hat in Kommunalparlamenten bereits mit der AfD kooperiert.
Der Kreisverband Harz steht mit seiner Meinung nicht allein. Schon bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr in Thüringen und Sachsen meldeten sich immer wieder CDU-Abgeordnete zu Wort, die lieber mit der AfD als mit den Grünen zusammenarbeiten würden. Die meiste Nahrung gab Parteichef Merz aber selbst solchen Bestrebungen. Als seine Fraktion im Januar zwei Anträge und einen Gesetzentwurf zur Migration in den Bundestag einbrachte, nahm er eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD in Kauf – zum ersten Mal überhaupt auf Bundesebene.
Die Abstimmung zeigte, welche Sprengkraft eine Öffnung der Unionsparteien zur AfD hätte. Mehrere Abgeordnete blieben der Abstimmung fern oder enthielten sich. Weitere stimmten nur widerwillig zu. Das Thema könnte CDU und CSU spalten, ja zerreißen. Auch bei den möglichen Unionswählern war das Manöver kein Erfolg. In Umfragen verlor die Partei leicht. Vor allem aber mobilisierte die Abstimmung die Gegner der Union, insbesondere bei der Linkspartei. Im Falle eines Endes des Unvereinbarkeitsbeschluss oder anderweitiger Annäherungen an die AfD drohte sich das zu wiederholen.
Für die AfD ist es erklärtes Ziel, die Unionsparteien zu zerstören. Auch deswegen schließen Merz und CSU-Chef Markus Söder eine Zusammenarbeit aus. Bislang zumindest.