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Was ein verrücktes Fußballspiel: Unglaubliches DFB-Team spielt sich fast um Kopf und Kragen

An diesem Sonntagabend war alles chaotisch, alles durcheinandergeraten. Gut 20 Minuten nach Abpfiff des absurden Fußballspiels zwischen Deutschland und Italien tauchte Angelo Stiller plötzlich in Dienstkleidung und Badelatschen in der Mixed Zone des alten Westfalenstadions auf. Reden wollte der DFB-Sechser aber (noch) nicht. Er suchte seinen Koffer mit den Duschutensilien. Der war im Bus geblieben. Wie auch jene von Jamie Leweling und Tim Kleindienst. Der Stürmer von Borussia Mönchengladbach war nach diesem unfassbaren Spiel sogar so durcheinander, dass er sein Hab und Gut am italienischen Bus suchte. Er konnte drüber lachen.

Wie alle Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft nach diesem zweiten Duell mit Italien im Viertelfinale der Nations League. 3:3 endete das Wiedersehen, das erst zu einem Horrortrip für die Gäste geworden war und am Ende fast noch zu einem für die Gastgeber. Mit 3:0 hatte die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann zur Pause geführt, sie hatten Italien in Grund und Boden gespielt und mit einer Blitz-Ecke von Joshua Kimmich (zum 2:0) blamiert. Noch während des Spiels tobte beim Mittelmeeranrainer ein medialer Orkan, ausgeruht werden die Schimpftiraden der Presse noch schärfer ausfallen. Italien war nach dem Hinspiel (1:2) und den ersten 45 Minuten in Dortmund (0:3) mausetot. Im Ergebnis. Und in der Art, wie das zweite Duell bis zu diesem Zeitpunkt gelaufen war.

Spalletti kann es nicht fassen

„Das (zweite Tor, Anmerk. d. Red.) hat uns umgebracht, es war ein Nackenschlag“, klagte Italiens Trainer Luciano Spalletti und ergänzte: „Du kannst ein Tor kassieren, aber nicht auf diese Art und Weise. Ich verteidige immer die Spieler, aber manchmal ist es schwer.“ In der ersten Halbzeit hatten seine Spieler tatsächlich nichts, aber auch gar nichts auf die Kette bekommen. Sie waren von der deutschen Mannschaft, von Leon Goretzka und Angelo Stiller, komplett erdrückt worden. Jeglicher Versuch von Kombinationen wurden einfach aufgefressen. Wurde der Ball zwei-, dreimal ohne Unterbrechung weitergespielt, ging das schon als italienische Ballbesitzphase durch.

Trainer Nagelsmann war restlos begeistert von dem, was er zu sehen bekam. Auch wenn es bis zur 30. Minute dauerte, ehe sein Team den ersten Lohn einfuhr. Joshua Kimmich verwandelte einen Elfmeter, den Kleindienst zuvor herausgeholt hatte. „Die erste Halbzeit war sehr beeindruckend, die beste meiner Amtszeit“, lobte der Bundestrainer, der einfach einen gigantischen Spaß an der Gier, Leidenschaft und Spielfreude seiner Fußballer hatte, denen ja noch ein paar Hochbegabte fehlen, etwa die verletzten Florian Wirtz und Kai Havertz. Egal an diesem Abend, es lief und lief. „Ein Fußballspiel ist nie perfekt. Es war aber unfassbar ansehnlicher Fußball“, schwärmte Nagelsmann weiter. Deutschland erhöhte auf 2:0 und 3:0. Das besorgte Kleindienst per Kopf.

Dommarumma schaltet komplett ab

Und wäre das Spiel nach der Pause nicht völlig aus dem Ruder gelaufen, es gäbe nur ein Thema: die Ecke von Kimmich. Der hatte gesehen, dass Torwart Gianluigi Donnarumma nach einer herausragenden Parade gesten- und wortreich über seine Teamkollegen hergefallen war. Mit ausgestreckten Armen bedeutete er ihnen, dass sie besser mal vor die deutsche Welle schwimmen sollten, anstatt in ihr immer wieder unterzugehen. Und während er schimpfte und wütend haderte, stand es 0:2. Kimmich nutzt den leeren Raum für eine Weltidee, spielte den Ball dorthin, Jamal Musiala lief am kurzen Pfosten ein: Tor. Italien war gnadenlos blamiert. Kimmich hatte einen kompetenten Partner. Balljunge Noel schalte blitzschnell und bekam Lob und eine Freikarte für ein DFB-Spiel.

Die italienischen Journalisten auf den Tribünen wurden immer aufgeregter. Sie fluchten laut, hauten ihre Laptops zu. Einer stellte die Arbeit ein und rauchte fortan bis zur Pause durch, danach war er nicht mehr gesehen. Ihr Ärger flog in alle Richtungen. Richtung Spalletti. Richtung Daniel Maldini. Der Sohn des legendären Paolo stand in der Startelf. Und war völlig überfordert. Ein Fehler reihte sich an den nächsten. Er blieb zur Pause in der Kabine.

Im Stadion herrschte Hochstimmung. Vergessen sind die viele stimmungslosen Länderspiele vor der Heim-EM 2024. Nach dem sich mehrfach wiederholenden Kollektivversagen hatte sich das Land von dem Team entfernt, das Turnier hat sie wieder zusammengebracht. Und die Hand des Spaniers Marc Cucurella wieder verbunden. Die DFB-Elf ist wieder en vogue, nahbar und spielt mitreißenden Fußball. Und der war von Beginn an offenbar auch ein wenig auf Wiedergutmachung für 2006 gepolt, als die Italiener Deutschland in Dortmund zum Schweigen brachten.

Vercoacht? Goretzka erklärt Auswechselungen

Dann brachte Leroy Sané Mitspieler Kimmich in Schwierigkeiten. Moise Kean sprintete dazwischen und traf zum 1:3 (49.). Die Fans der Squadra Azzurra jubelten, ob sie aber wirklich hofften? Nach 63 Minuten gab es drei Wechsel beim DFB-Team. Wichtiger als die, die kamen, waren die, die gingen. Goretzka und Stiller nämlich. Nagelsmann holte seinen Maschinenraum vom Feld – und verlor die Kontrolle. Hatte er sich verzockt? Nein, befand er. Goretzka habe seit längerem Oberschenkelprobleme. Eine Spielzeit von lediglich gut einer Stunde sei vorab abgesprochen gewesen. Akut verletzt sei der 30-Jährige aber nicht. Stiller dagegen lief Gefahr, so fand der Bundestrainer, nach der gelben auch noch die gelbrote Karte zu sehen.

Der Kontrollverlust war indes unübersehbar. Italien spürte das und zog Kraft daraus. Wieder war Moise Kean da. Nach 69 Minuten stand es 2:3. Bei Deutschland griff die Angst um sich. Es drohte eine große Unannehmlichkeit, eine Peinlichkeit. Wie war es möglich, dass die fußballerisch mausetoten Italiener auf einmal so quicklebendig kombinierten? Sie hatten in den Katakomben alle taktischen Fesseln von sich gerissen und waren frei. Sie spielten nach der Devise: Wunder oder Debakel. Und sie rannten dem Wunder entgegen.

Nach 74 Minuten gab es Elfmeter für Italien. Nico Schlotterbeck hatte gegrätscht. Giovanni Di Lorenzo ging sehr leicht zu Boden. Nagelsmann fuhr der Schreck ins Gesicht, die DFB-Fans wurden ganz leise. Italien feierte und tobte. Und tobte noch mehr, als der VAR den Schiedsrichter zur Überprüfung bat. Alles wurde einkassiert. Sofort war wieder Lärm im Stadion, das längst von jener gigantischen Energie erfüllt wurde, die sonst nur der BVB an großen Europapokalabenden erzeugen kann. Es bebte und knisterte, denn durch war hier noch gar nichts.

„Sehr interessant, nur ein bisschen zu spannend“

Wann hatte es zuletzt so ein absurdes deutsches Spiel gegeben? Vor der Nagelsmann-Ära waren Besuche eines Länderspiels häufiger etwas für Katastrophen-Touristen gewesen. Da gab es schaurige Spiele und Fiaskos in Serie. Ein so schönes und wildes Spiel hatte es vielleicht zuletzt 2012 gegeben, als Deutschland in der Quali für die WM 2014 in Brasilien gegen Schweden zum ersten Mal in der damals schon über 100-jährigen Geschichte des DFB einen 4:0-Vorsprung vergeigt hatte. 4:4 hieß es am Ende. Und in Brasilien wurde Deutschland Weltmeister.

Womöglich ein gutes Omen? Darüber sprach Nagelsmann nicht. Und auch nicht so gerne über die zweite Hälfte: „Da war es auch sehr interessant, nur ein bisschen zu spannend am Ende. Wir sind ja ein bisschen ein Land der Meckerer, aber wir können stolz sein auf die Einheit zwischen Fans und Mannschaft. Die Mannschaft wirft alles rein. Das ist vielleicht die wichtigste Entwicklung der vergangenen Jahre.“ Es gab nach dem 2:3 keine Pfiffe, keine Unruhe. Der Pegel der Anfeuerung blieb hoch. Die Nationalmannschaft hat sich wieder Kredit erspielt. „Es gibt so Momente – dann kriegst du ein Tor, ein zweites“, sagte der Bundestrainer. Die Erkenntnis aus beiden Spielen sei „Weltklasse“ und „für unsere Entwicklung super“.

Kleindienst hätte in der Nachspielzeit alle Nerven endgültig beruhigen können, aber einen aussichtsreichen Konter spielte er ganz schwach zu Ende. Sein Passversuch auf Pascal Groß verendete kläglich. Im Gegenzug spielte Maxi Mittelstädt den Ball im Strafraum mit der Hand. Mit Verspätung und VAR-Eingriff gab es Elfmeter für Italien. Giacomo Raspadori verwandelte sicher. Schiedsrichter Szymon Marciniak zeigte noch drei Minuten Spielzeit. Nagelsmann kaute auf seinen Nägeln herum, der elegant gekleidete Spalletti gestikulierte wie wahnsinnig. Das Wunder war möglich! Blieb aber aus. Schlusspfiff. Nagelsmann drückte seine Brust an die seiner Coaching-Kollegen. Es war geschafft. Deutschland bekommt im Sommer mit dem Final Four eine kleine Mini-EM und die nächste Titelchance für Nagelsmann. Im Juni wartet ein Showdown mit Portugal und Cristiano Ronaldo.

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