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Vom Import zur eigenen Förderung? Helium-Suche im Nordosten

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Auf den Äckern rechts und links der kleinen Straße in der Nähe des vorpommerschen Orts Kröslin zittern die Blätter der Pflanzen, so stark vibriert der Boden. Gerade haben die beiden rund 27 Tonnen schweren und 10 Meter langen Erkundungsfahrzeuge wieder eine Art Rüttelplatte auf die Fahrbahn gesenkt und schicken nun Schallwellen tief in den Untergrund. Sie ermöglichen eine Art Ultraschall-Bild, das bis 4.000 Meter in die Tiefe reicht. Es soll Auskunft über das Vorkommen eines derzeit in Deutschland nicht geförderten Bodenschatzes geben: Helium.

Helium ist etwa aus der Befüllung bunter Luftballons bei Kindergeburtstagen bekannt oder für den Effekt, die Stimme zu erhöhen, wenn man es einatmet. Aber: „Helium ist viel mehr als nur das. Es ist ein wichtiger Rohstoff“, sagt Harald Kiefer vom Unternehmen 45-8 Energy mit Sitz im französischen Metz, das die Erkundung in Vorpommern in Auftrag gegeben hat. Für ein ähnliches Vorhaben in Brandenburg läuft derzeit das Genehmigungsverfahren.

Helium laut EU kritischer Rohstoff

Die EU führt Helium als kritischen Rohstoff. Nach Einschätzung von Peter Klitzke von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) wird der Bedarf an Helium in Zukunft noch steigen. „Helium wird vor allem im medizinischen Bereich verwendet, zum Beispiel zur Kühlung von Magnetresonanztomografen (MRTs).“ Daneben sei der Bedarf beispielsweise der Halbleiterindustrie massiv nach oben gegangen. Entwicklungen etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz würden das eher noch befeuern. „Der Preis ist in den letzten Jahren deutlich nach oben gegangen.“ Unternehmen interessierten sich zunehmend für das Edelgas.

Eine Förderung oder nennenswerte Produktion gebe es in Deutschland derzeit nicht. Das hierzulande und in Europa genutzte Helium komme vor allem aus den USA, Katar und Algerien. Helium werde klassischerweise bei der Erdgasförderung mitgefördert und bei der Produktion verflüssigten Erdgases (LNG) aus dem geförderten Gasgemisch unter hohem Energieeinsatz gewonnen. Dementsprechend seien die großen LNG-Lieferanten auch die wichtigsten Helium-Lieferanten.

Daten aus DDR-Zeiten als Ausgangspunkt

„Wir sind als Industriestandort bis heute hundertprozentig importabhängig bei Helium“, erklärt Kiefer. „Das wollen wir hier ändern.“ Von dem Helium-Vorkommen weiß das Unternehmen dank Daten aus DDR-Zeiten. Wohl kaum ein Land sei geophysikalisch so gut untersucht worden wie die DDR, sagt der Geophysiker Andreas Schuck, der das Projekt in Vorpommern begleitet. Die DDR suchte damals vor allem nach Erdgas oder Erdöl. Zwischen Greifswald und Wolgast wiesen Tiefbohrungen stattdessen ein Gasgemisch aus Stickstoff und Helium nach. Damals habe man für das Helium mangels technischer Anwendung aber noch keine Verwendung gehabt, sagt Schuck.

Laut Schuck wird nun auf rund 90 Quadratkilometern erkundet. Gestartet sei der rund 50-köpfige Messtrupp mit seinen acht großen sogenannten Vibro-Trucks Ende Januar. Diese sollen insgesamt 9.000 Punkte anfahren. 9.500 Geophone seien an verschiedenen Stellen in die Erde gesteckt worden, die die Reflexionen der Schallwellen messen. Die eigentlichen Messungen sollen kommende Woche abgeschlossen werden. Die Auswertung und Interpretation der Daten werden laut Schuck ein halbes bis ganzes Jahr dauern. Dann soll sich zeigen, ob Erschließung und Förderung lohnen.

Intransparenter Markt

Den Bedarf in Deutschland schätzt Klitzke in etwa auf sieben bis zehn Millionen Kubikmeter. Der globale Markt belaufe sich auf etwa 170 Millionen Kubikmeter. Der weltweite Bedarf solle in den nächsten Jahren auf über 200 Millionen Kubikmeter ansteigen.

Es gebe zeitweise Verknappungen und Preisschwankungen, wobei die Gründe nicht immer klar seien, weil sich die Produzenten nicht in die Karten schauen ließen. „Der Heliummarkt ist sehr intransparent.“ Preise würden zwischen großen Produzenten und Abnehmern direkt verhandelt.

Nach Aussage Kiefers hätte „Helium made in Mecklenburg-Vorpommern“, wie er es nennt, im Vergleich zum Import mehrere Vorteile. Neben mehr Unabhängigkeit wäre vor Ort gefördertes Helium auch klimafreundlicher. Energie für Transporte von Übersee sowie die dafür notwendig Verflüssigung und Regasifizierung könnte eingespart werden. „Man kann das Helium direkt gasförmig an Abnehmer in der Region vertreiben.“ 

Helium auch seitens Forschung gefragt

Klitzke sagt, das Projekt von 45-8 Energy in Vorpommern ist seines Wissens bislang einmalig in Deutschland. Sollte eine Förderung tatsächlich wirtschaftlich möglich sein, könne sie zumindest zur Versorgung des norddeutschen Marktes beitragen. Zum großen Heliumproduzenten wird sich Deutschland nach Einschätzung Klitzkes aber nicht aufschwingen.

Einer der mögliche Abnehmer ist nicht weit entfernt: die riesige Versuchsanlage „Wendelstein 7-X“ im Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die zur Erforschung der Kernfusion als mögliche Energiequelle dient. Dort wird Millionen Grad heißes Plasma – eine Art vierter Aggregatzustand – von Magneten in Position gehalten. Diese Magnete wiederum werden auf minus 270 Grad heruntergekühlt – mit Helium.

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