Führende Wirtschaftsexperten üben heftige Kritik am Wahlprogramm der AfD und ihrer Kanzlerkandidatin Alice Weidel. „Die Wirtschaftspolitik der AfD würde das deutsche Wirtschaftsmodell zerstören – ohne zu sagen, was stattdessen kommen soll“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dem „Spiegel“. „Wohlstand und Millionen Arbeitsplätze würden verloren gehen.“
Die in weiten Teilen rechtsextreme AfD hat diese Woche ihr Programm für die Bundestagswahl veröffentlicht. Demnach will sie die Einkommens-, Unternehmens-, Umsatz- und Energiesteuern senken. Grund-, Erbschafts- und Grunderwerbsteuer für Immobilieneigennutzer will sie ersatzlos streichen.
Darüber hinaus will die AfD mehr für die Bundeswehr ausgeben und das Rentenniveau langfristig auf 70 Prozent des letzten Nettolohns steigern. „Ein großartiges Versprechen, das bestimmt viele Wähler gern hören“, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter des Ifo-Instituts in Dresden, dem „Spiegel“. „Aber es ist natürlich völlig unrealistisch, weil das gar nicht zu bezahlen wäre.“
IW-Chef hält Weidel-Thesen für irreführend
Die AfD will zudem die Energiewende rückabwickeln und Windräder abreißen. Erneuerbare Energien seien ohne Subventionen ohnehin nicht wettbewerbsfähig, behauptete Weidel zuletzt. „Das ist entweder völlige Inkompetenz oder eine bewusste Lüge“, sagt DIW-Präsident Fratzscher. „Atomkraft und fossile Energieträger sind schon heute deutlich teurer als erneuerbare Energien. Das besagt ausnahmslos jede Studie.“
Auch Michael Hüther, Direktor des IW Köln, hält Weidels Thesen für irreführend. Zum einen würde eine Rückkehr zur Atomkraft wohl rund 30 Jahre dauern. „Hinzu kommt, dass abgesehen von der ungelösten Frage der Entsorgung des radioaktiven Abfalls auch noch die Risiken dieser Technologie eingepreist werden müssten“, sagt Hüther dem „Spiegel“. „Damit aber würde Atomstrom deutlich teurer als erneuerbare Energien.“
Dexit ist aus Wahlprogramm verschwunden – zumindest offiziell
In der Wirtschaft hält man vor allem die AfD-Pläne für die Europäische Union für gefährlich. Die Partei fordert in ihrem Wahlprogramm – anders als noch im Entwurf vom November – zwar nicht mehr ausdrücklich den Austritt Deutschlands aus der EU. Doch ihre Forderungen, darunter eine weitgehende Rückführung von Kompetenzen an die Nationalstaaten und ein Ende der Rolle Deutschlands als „Zahlmeister“ der EU, wären in der Praxis nur mit einem Dexit umsetzbar.
„Mit einem Austritt aus der EU oder dem Euro würde Deutschland wirtschaftlichen Selbstmord begehen“, sagt Johannes Kirchhoff, geschäftsführender Gesellschafter beim gleichnamigen Autozulieferer mit weltweit mehr als 14.000 Beschäftigten. Ähnlich sieht es Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der chemischen Industrie (VCI): „Aus der EU und dem Euro auszusteigen, ist ein wirtschaftspolitisches Kamikazeszenario.“ Für die Chemie- und Pharmaindustrie sei Europa der wichtigste Absatzmarkt.