Mittwoch, 27.November 2024 | 06:31

„Timing ist schlecht“: WM-Stimmung? Welche Stimmung?

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Normalerweise sorgt eine Fußball-Weltmeisterschaft für eine Sonderkonjunktur. Doch dieses Mal sieht es völlig anders aus. Die Winter-WM in Katar könnte zur Enttäuschung werden.

Krieg in der Ukraine, Winterwetter, Inflation, Energiekrise und umstrittener Austragungsort. Nächsten Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, und von Vorfreude ist in Deutschland aus vielen Gründen noch nichts zu spüren. Das kann sich noch ändern. Doch derzeit sieht es danach aus, als könnte sich die Hoffnung von Unternehmen wie Sportartikelherstellern, Elektronikhändler und Brauereien bis hin zu Kneipen auf ein brummendes WM-Geschäft zerschlagen.

Das fängt schon damit an, dass Rudelgucken in Biergärten bei kalten Nieselregen oder gar mit Schneematsch nicht so richtig attraktiv ist. Die Nachfrage nach Trikots, Schals und nach Bier wird ohne Public Viewing wohl deutlich geringer ausfallen als in den Vorjahren. Zumal Inflation und hohe Energiekosten viele Menschen dazu zwingen, ihr Geld zusammenzuhalten. Das heißt: weniger Fanartikel, weniger Kneipenbesuche. „Von diesem Event erwartet sich unsere Branche keine Impulse, das muss man ganz nüchtern betrachten“, sagte der Chef des Deutschen Brauer-Bunds, Holger Eichele.

„Sommerliches Wetter ist grundsätzlich der beste Bierverkäufer, während die Turnierverschiebung in die kalte Winterzeit die Lust auf kühles Bier mindern dürfte“, sagte eine Sprecherin der Radeberger Gruppe. Das Unternehmen geht davon aus, dass die Nachfrage deutlich unter dem Niveau ähnlicher sportlicher Großereignisse bleiben werde. Wegen des in der Kritik stehenden Austragungsortes sollen einige Gastronomen außerdem angekündigt haben, auf Liveübertragungen ganz zu verzichten.

Dass einige Gastwirte die Weltmeisterschaft in Katar wegen der Menschenrechtslage boykottieren, bestätigte Daniel Ohl vom Hotel- und Gaststättenverband Baden-Württemberg. Ohl erwartet, dass im Gastgewerbe weniger los sein werde als gewohnt. Als Gründe nannte er die Jahreszeit, die Kollision mit dem Weihnachtsgeschäft und die kritische Haltung der Gastronomen gegenüber dem Ereignis.

Und der Einzelhandel? „Sicherlich wäre es für den Einzelhandel einfacher gewesen, wenn das Turnier in bewährter Manier zum Sommertermin durchgeführt worden wäre. Und sicher ist die Situation mit dem Austragungsort Katar eine besondere“, sagte ein Sprecher des Handelsverbands Deutschland. Jedes größere Sportereignis bringe bestimmten Handelsbranchen Umsatzeffekte im kleineren oder größeren Umfang. Und insbesondere eine Fußball-WM sorge erfahrungsgemäß für Impulse bei Fanartikeln, Trikots und bei einigen Lebensmitteln.

Eine WM in Katar sei aber nicht mit Sportereignissen im eigenen Land zu vergleichen, so der Sprecher. „Auch werden Fanevents im öffentlichen Raum im Winter sicher deutlich seltener stattfinden.“ Außerdem sorgten steigende Energiekosten für gebremsten Konsum. Prognosen für das WM-Geschäft seien schwierig, da der Handelsverband bisher keine Erfahrung mit solch einem Turnier gemacht habe.

Beim Handelsverbund Intersport aus Heilbronn fällt die Nachfrage nach WM-Fanartikeln dieses Mal nach eigenen Angaben deutlich verhaltener aus. „Aufgrund des Zeitpunkts der WM im Winter gibt es keine Public-Viewing-Events und auch keine Biergärten, wo Stimmung und sehr viel Bedarf für Artikel aufkommen würde“, sagte Frank Geisler vom Vorstand von Intersport Deutschland. Der Austragungsort werde von den Kundinnen und Kunden sowie von Intersport kritisch gesehen. „Da kommt bisher weniger Euphorie auf.“ Die Energiekrise und die Inflation spielten ebenfalls eine Rolle, hieß es. „Dennoch hoffen wir aber auch auf eine mögliche positive Überraschung.“

Der Sportartikel- und Kleidungshersteller Adidas rechnet trotz der Rahmenbedingungen mit einem Millionengeschäft – konkret erhofft sich das Unternehmen aus Herzogenaurach einen Umsatzschub von bis zu 400 Millionen Euro, wie ein Sprecher mitteilte. Das wären rund zwei Prozent des Jahresumsatzes. Die Nummer zwei auf dem weltweiten Sportartikelmarkt rüstet sieben der 32 Teilnehmer und mehr als 100 einzelne Spieler aus, darunter die Nationalteams von Deutschland, Spanien und Argentinien sowie Kicker wie Lionel Messi und Manuel Neuer.

Der Fußball-Umsatz sei in den ersten neun Monaten um 30 Prozent gestiegen. Der WM-Ball „Al-Rihla“ wird bereits seit dem Frühjahr verkauft. Er gehört laut Adidas ebenso zu den Verkaufsschlagern wie das Trikot der mexikanischen Nationalelf. Puma setzt dagegen geringere Hoffnungen in die WM: Das Trikot des Adidas-Rivalen tragen nur sechs Außenseiter, nachdem sich Europameister Italien nicht qualifiziert hat.

Grundsätzlich sorge eine Fußball-WM für eine Sonderkonjunktur in einigen Produktsegmenten, sagte der Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH Köln), Kai Hudetz. „Dies gilt insbesondere für die TV-Geräte.“ Das Timing sei in diesem Jahr aber schlecht. „Weil sich die Situation in den Lieferketten verbessert hat, sind viele Läger voll, die Nachfrage ist aber stark eingebrochen“, sagte der Experte. Viele Kunden zögerten derzeit wegen der hohen Inflation, Energiekrise und drohender Rezession mit größeren Ausgaben. „Mehr als 40 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten verschieben Anschaffungen im Bereich Consumer Electronics“, sagte Hudetz. Gerade bei den TV-Geräten sei daher der Preiswettbewerb intensiver denn je.

„Inwieweit sich diese WM zu einem Zuschauermagnet vor den Bildschirmen entwickelt mit Umsatzsteigerungen bei Bier, Chips & Co. ist schwer zu beurteilen“, räumte Hudetz ein. „Aktuell überwiegt die negative Berichterstattung, aber Erfolge des deutschen Teams können das schnell ändern.“ Sollte die DFB-Auswahl allerdings wie zuletzt 2018 früh aus dem Rennen um den Weltmeistertitel ausscheiden, werde die Zuschauerzahl vor den Bildschirmen vermutlich besonders stark einbrechen. Die sonst übliche WM-Sonderkonjunktur für den Einzelhandel könnte dann ausfallen.

Immerhin der Blick auf 2024 dürfte die hiesige Wirtschaft optimistisch stimmen. Dann nämlich findet die Europameisterschaft in Deutschland statt – wie gewohnt im Sommer.

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