Oliver Bierhoff ist weg – aber was wird nach dem WM-Debakel aus Hansi Flick? Die Zukunft des Bundestrainers steht nun im Mittelpunkt, nachdem DFB-Direktor Bierhoff und der Deutsche Fußball-Bund am Montagabend die gemeinsame Trennung bekannt gaben. Bei dem für Mitte dieser Woche anvisierten Krisengipfel wird damit Flick die Gründe für das Scheitern wohl allein erklären müssen – sofern die Analyse nicht schon von den Medien unbemerkt stattgefunden hat.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf hatte unmittelbar nach dem blamablen Vorrundenaus in Katar eine Sitzung mit ihm selbst, Bierhoff, Flick und Hans-Joachim Watzke als Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball Liga (DFL) angekündigt. Erst wenn „die Analyse beendet ist“, hatte Neuendorf betont, wolle man „auch mit einem Ergebnis“ an die Öffentlichkeit gehen.
Das erste Ergebnis stand bereits vier Tage nach dem WM-K.-o. fest: Bierhoff ist nicht länger Direktor im DFB. Der 54-Jährige verlässt nach 18 Jahren den Verband, beide Parteien verständigten sich auf eine Auflösung des bis 2024 laufenden Vertrages. Der frühere Weltmeister Per Mertesacker reagierte mit Bedauern: „Er hat viel mehr gemacht, als viele wahrscheinlich denken.“ Borussia Mönchengladbachs Christoph Kramer hoffte, „dass er es selber entscheiden durfte, was für ihn das Richtige ist“.
Bei seinen Abschiedsworten ließ Bierhoff Stolz auf seine Arbeit, aber auch Selbstkritik anklingen. In den vergangenen vier Jahren habe man es „nicht geschafft, an frühere Erfolge anzuknüpfen und den Fans wieder Grund zum Jubeln zu geben“. Einige Entscheidungen hätten sich „nicht als die richtigen“ erwiesen. „Dafür übernehme ich die Verantwortung.“ Er mache nun „den Weg frei für neue Weichenstellungen“.
Einem Bericht der ARD-„Sportschau“ zufolge soll es bei einem Gespräch, an dem auch Watzke teilnahm, darum gegangen sein, Bierhoff den Bereich Nationalmannschaft zu nehmen und in Zukunft nur noch für die DFB-Akademie zuständig sein. Dies habe Bierhoff aber abgelehnt. Wer künftig den Weg als für die Nationalmannschaften und die Akademie verantwortlicher DFB-Direktor vorgibt oder ob es zu einer Neustrukturierung der Aufgaben kommt, ist offen. Über die Nachfolge werden die DFB-Gremien beraten. Einem Bericht des „Kicker“ zufolge wird Fredi Bobic, aktuell Geschäftsführer beim Bundesligisten Hertha BSC, für den Posten gehandelt.
Sollte Flick im Amt bleiben, könnte ihm nun auch ein sportlicher Leiter zur Seite gestellt werden. Die Rolle einer Art Manager hatte auch Bierhoff in seinen DFB-Anfangsjahren ausgefüllt. Ein Weltmeister mit öffentlicher Strahlkraft wäre denkbar – zum Beispiel einer wie Sami Khedira?
Philipp Lahm, ein anderer Weltmeister von Rio, hat sich nach dem Karriereende nach und nach ein sportpolitisches Profil erarbeitet und sich zuletzt mit deutlichen Ansagen zu Themen positioniert, die um Verband und Team kursierten. Nach dem Abschied von DFB-Präsident Fritz Keller wurde Lahm sogar schon als Kandidat für dessen Nachfolge an der Spitze des Verbandes gehandelt. Doch der ehemalige Nationalspieler hat wohl keine Zeit: Lahm ist mit seiner Aufgabe als Organisator der Heim-Europameisterschaft 2024 ausgelastet. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er jüngst, bei dem Turnier habe man Großes vor: „Es muss wieder ein Wir-Gefühl entstehen – in Deutschland, aber auch in Europa.“ Ambitionen, die auch zu den großen Aufgaben des zu benennenden Bierhoff-Nachfolgers passen würden.
Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger arbeitet aktuell als DFB-Botschafter für Vielfalt und stünde als eine Art Sportdirektor auch für einen Neustart. DFB-Vizepräsidentin Célia Sasic ist seit März offiziell für Gleichstellung und Diversität zuständig, hätte als ehemalige Nationalspielerin aber auch das Know-how, um jederzeit in den sportlichen Bereich einzugreifen.
Im Bereich der Nationalmannschaften folgt auf Bierhoff im DFB-Organigramm Joti Chatzialexiou als „Sportlicher Leiter Nationalmannschaften“, der schon seit 2003 im DFB arbeitet. Tobias Haupt als „Leiter DFB-Akademie“ steht für den zweiten Strang in Bierhoffs Bereich. Beide als Doppelspitze wäre die interne Lösung, von der innerhalb des Verbands aber alle überzeugt sein müssten. Nadine Keßler arbeitet sehr erfolgreich in der Führungsstruktur der Europäischen Fußball-Union UEFA. Stefan Kuntz, aktuell Nationaltrainer der Türkei und früher Chef der deutschen U21-Auswahl, arbeitete auch schon im Klub-Management. Bei jedem größeren Reformer-Job im deutschen Fußball wird auch immer wieder der Name Ralf Rangnick genannt. Der 64-Jährige ist aktuell Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft.
Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus hatte schon vor dem Bierhoff-Aus in seiner Kolumne für den Pay-TV-Sender Sky dafür geworben, Leute wie Matthias Sammer, die „mit einer anderen Sichtweise und einer klaren Meinung neuen Spirit in den DFB bringen“ könnten, in den möglichen Reformprozess des DFB einzubeziehen. Sammer war schon einmal Sportdirektor beim DFB (2006 bis 2012), den FC Bayern riss er im Anschluss aus der Lethargie der zweiten Plätze. Der Berater von Borussia Dortmund genießt in der Branche hohes Ansehen, sein Name wird entsprechend oft genannt. Er selbst wiegelte zu
Sammer schlug seinerseits Matthäus als geeigneten Kandidaten vor. Der sieht eine feste Aufgabe im Verband aber skeptisch. Er sei „zu weit weg vom DFB“ und habe aufgrund anderer Verpflichtungen „auch gar keine Zeit“, sagte der 61-Jährige. Für Matthäus ist aber klar, dass über die Neuausrichtung nicht nur der innere Kreis des DFB bestimmen sollte, „wo alles ‚Friede, Freue, Eierkuchen‘ ist“.