Eine Reihe von Polizei-Mannschaftswagen steht am Dienstag an einer Dorfstraße in Jamel bei Wismar. Auf dem Dach des Backsteinhauses gegenüber weht schwarz-weiß-rot eine Reichsflagge. Schon seit dem Morgen durchsuchen Beamte Räume in dem für seine rechten Strukturen bekannten Dorf. Offenbar mit Erfolg – am Nachmittag laden Polizisten Kisten in einen Lkw ein.
Auslöser für die Aktion ist das Verbot des rechtsextremen Vereins „Hammerskins Deutschland“ sowie seiner regionalen Ableger und der Teilorganisation „Crew 38“ durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Wie das Ministerium am Dienstag mitteilte, durchsuchten rund 700 Einsatzkräfte Wohnungen von mutmaßlichen Mitgliedern des Vereins in zehn Bundesländern: in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und dem Saarland.
Die Razzia richtete sich dem Vernehmen nach nur gegen mutmaßliche Führungsfiguren. Zu denen gehört offenbar auch der bundesweit bekannte Rechtsextremist Sven Krüger. In Jamel wurden dessen Wohn- und Geschäftsräume durchsucht, wie das Schweriner Innenministerium bestätigte. Auch in Anklam und auf der Insel Usedom wurden Objekte durchsucht – insgesamt laut Ministerium fünf.
Im Nordosten waren nach Angaben des Ministeriums drei mutmaßliche Mitglieder betroffen. Nach Aussage einer Sprecherin des Schweriner Innenministeriums gibt es in MV zwei sogenannte Chapter der „Hammerskins“ – eines in Mecklenburg und eines in Vorpommern. Hinzu kämen regionale Untergliederungen sowie die „Crew 38“, eine Art Anwerberorganisation.
Das Symbol der „Hammerskins“ sind zwei gekreuzte Hämmer. Mit dem Verbot des Vereins ist auch die Verwendung entsprechender Symbole verboten. Nach Aussage Faesers wurden neben große Mengen rechtsextremer Devotionalien auch Bargeld beschlagnahmt.
Wie das Innenministerium in Schwerin mitteilte, kam bei den Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern auch der Munitionsbergungsdienst zum Einsatz. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur entdeckten die Beamten bei einem führenden Mitglied der „Hammerskins“ eine Granate, bei der zunächst nicht klar war, ob sie noch funktionsfähig ist. Außerdem habe man eine Armbrust und mehrere Dolche gefunden. Auch Musik-CDs seien beschlagnahmt worden.
Offiziell teilte das Ministerium am Abend mit, es seien bei den Durchsuchungen unter anderem eine untere vierstellige Summe Bargeld, zweimal Sprengstoff, mehrere Waffen, scharfe Munition und Übungsmunition gefunden worden. Außerdem sei eine „erhebliche Menge“ rechtsextremistischer Devotionalien beschlagnahmt worden. Ein Vereinsraum sei leergeräumt und versiegelt worden.
Nach Aussage des Schweriner Innenministers Christian Pegel (SPD) bringt die Gruppe ihr menschenfeindliches Gedankengut bei kulturellen Veranstaltungen wie Konzerten unter die Menschen und versucht so, Anhänger für ihre menschenverachtende Ideologie zu gewinnen. „Mit diesem bundesweiten Vereinsverbot, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser ausgesprochen hat, ist uns ein wichtiger Schlag gegen die rechtsextreme Szene gelungen.“
Seit dem Morgen seien 135 Kräfte im Einsatz gewesen, darunter auch Spezialeinsatzkräfte. Sie führten auch 13 sogenannte Gefährderansprachen durch. „Dabei nehmen Beamtinnen und Beamte Kontakt mit Unterstützern dieser rechtsextremen Szene auf.“
Bei den Vorbereitungen für das Verbot arbeiteten Bund und Länder nach Angaben des Bundesinnenministeriums über ein Jahr lang zusammen. Auch mit US-Partnerbehörden sei kooperiert worden. Die Neonazi-Gruppe ist ein Ableger einer Gruppierung aus den USA und existiert in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre. Wer sich der Vereinigung anschließen wollte, die sich selbst als elitär versteht, musste verschiedene Stufen durchlaufen, um als Vollmitglied anerkannt zu werden. Die Behörden schätzen die Zahl der Mitglieder bundesweit auf rund 130.
Die Organisatorin des Anti-Rechts-Festivals in Jamel, Birgit Lohmeyer, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Maßnahmen am Dienstag seien „ein guter Tag für die Demokratie“ gewesen. Sie hatte 2007 zusammen mit ihrem Mann das Festival „Jamel rockt den Förster“ ins Leben gerufen, um auf die starken rechten Strukturen im Ort aufmerksam zu machen.
„Es hat eigentlich viel zu lang gedauert, bis reagiert wurde. Die Hammerskins sind ja schon ewig bekannt und wir wissen, was für Dinge diese Menschen umtreibt“, sagte Lohmeyer. „Insofern wunderbar, dass jetzt staatlich in allen Bundesländern reagiert wird.“
Auch die Linke im Schweriner Landtag nannte das Verbot „längst überfällig“. Dass sich durch die jüngsten Razzien in Jamel etwas ändern werde, glaubte Lohmeyer nicht. „Nein, auf keinen Fall. Wir haben hier beinhart indoktrinierte Neonazis leben.“ Das gehe bis hin zu den Kindern. In den Köpfen der Menschen werde sich durch die Polizeiaktionen nichts ändern. „Aber es ist ein wichtiges Signal an den Rest der Republik.“