Die AfD hat mit scharfer Kritik auf den Koalitionsvertrag von Union und SPD reagiert. Parteichefin Alice Weidel sprach in einem Statement von einer „kleinen Koalition“. Der Vertrag sei eine „Kapitulationsurkunde von Friedrich Merz“. „Das Papier trägt durchgehend die Handschrift des Wahlverlierers SPD, gespickt mit Verbeugungen und Kotaus vor den Grünen“, fügte sie hinzu.
Die Union habe kein einziges Wahlversprechen eingehalten und Merz sei schon vor seiner Wahl zum Bundeskanzler auf breiter Front gescheitert, sagte Weidel. Das Regierungsprogramm gehe nicht die wichtigen Herausforderungen des Landes an. Die Migrationswende sei zu den Akten gelegt und der Atomausstieg bleibe bestehen. Das „weiter so“ stehe „in jedem Satz des Koalitionsvertrags“. So werde zu viel Steuergeld „für falsche und schädliche Politik verschleudert. Die Finanz- und Steuerpolitik ist ein Desaster, das die Krise noch verschärfen wird.“
„Wenn man sich den Koalitionsvertrag anschaut, dann muss man schon von einer Kapitulation sprechen“, sagte auch AfD-Co-Chef Tino Chrupalla. „Insgesamt hat Friedrich Merz einen Politikwechsel angekündigt, auch eine ganz klare Migrationswende, und von diesen Dingen sieht man und liest man in diesem Koalitionsvertrag relativ wenig.“ Er klagte über das Ausbleiben der Atomstrom-Rückkehr sowie die fehlenden russischen Gasimporte.
Grüne: „Koalition hat Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh“
Auch die Grünen kritisieren den Koalitionsvertrag als „große Enttäuschung“, jedoch nicht so scharf wie die AfD. Das Regierungsprogramm sei für „Europa Valium, obwohl Europa eine Energiespritze gebrauchen könnte“, sagte Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner. Deutschland und die Welt kämpften mit drei zentralen Herausforderungen – dem Kollaps der Ökosysteme, der Erosion der regelbasierten Ordnung in der Welt und dem Erstarken des Rechtsextremismus, sagte Co-Parteichef Felix Banaszak. Auf all das habe die künftige Regierungskoalition nicht „den Hauch einer Antwort“. Es sei ein Trauerspiel zu sehen, dass CDU-Chef Merz keinen „Adenauer-Moment“ und keinen Mut habe, so Brantner.
Für junge Menschen sei im Koalitionsvertrag nichts enthalten in puncto sichere Rente oder soziale Sicherungssysteme, Innovationen oder Bildung. Vieles werde in Kommissionen vertagt. Zudem sei das Regierungsprogramm finanziell nicht durchgerechnet und jeder Punkt stehe unter Finanzierungsvorbehalt. „Diese Koalition hat Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh“, erklärte Brantner.
„Der vorliegende Koalitionsvertrag verpasst die Chance, eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: die Stabilisierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung“, beklagte außerdem die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta. So fehle etwa im Gegensatz zum Papier der Arbeitsgruppe die Zusage, versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln zu finanzieren und den Bundeszuschuss zu dynamisieren. Stattdessen gebe es „unverbindliche Floskeln und den Verweis auf eine Kommission, die teilweise erst 2027 konkrete Vorschläge liefern soll“. Das sei zu spät und zu vage.
Linke klagen über „verantwortungsloses“ Handeln
Die Linke übte scharfe Kritik am Koalitionsvertrag. Er ignoriere Probleme wie hohe Mieten, hohe Preise, den bröckelnden Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zerstörung des Planeten, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner. „Komplett mutlos, fantasielos und ohne sozialen Kompass präsentiert sich hier diese Koalition der Ignoranz und der Hoffnungslosigkeit.“ Die Politik werde den Weg für rechte Parteien ebnen. „Es ist ein Dokument der Ignoranz“, fuhr Parteichefin Ines Schwerdtner in der „Rheinischen Post“ fort.
Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek ergänzte, die Sicherung des Rentenniveaus auf 48 Prozent reiche nicht. „Das ist nichts anderes als eine Fortschreibung von Altersarmut“, meinte sie. „Anstatt dieses Elend zu zementieren, muss das Rentenniveau endlich wieder auf 53 Prozent erhöht werden.“ Auch die Pläne zur Migrationspolitik kritisierte sie.
Auf einer Pressekonferenz hielten Schwerdtner und Reichinnek ihren eigenen Entwurf des Koalitionsvertrags hoch. Auf dem Cover stand geschrieben „Verantwortungslosfür Deutschland“. Im Original trägt das 146-seitige Papier den Titel „Verantwortung für Deutschland“.
FDP sieht „Mutlosigkeit“
FDP-Politiker Christian Dürr beklagte, dass „Deutschland zukünftig von Mutlosigkeit regiert wird“. „Mit dem Koalitionsvertrag steht es schwarz auf weiß: Mit Friedrich Merz und seiner schwarz-roten Koalition bleibt der versprochene Politikwechsel aus“, sagte Dürr. Er vermisst demnach „echte Reformen“ und kritisiert, es würden sogar noch ein zusätzliches Ministerium und Posten für Staatsminister geschaffen. „Dass erst 2032 die Unternehmenssteuern wirklich gesenkt werden sollen, ist angesichts der Krise völlig unverständlich und es steht in den Sternen, ob das überhaupt kommt“, so Dürr.
Auch BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sieht die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD sehr kritisch. „Der Koalitionsvertrag gibt keine Antwort auf Wirtschaftskrise und Handelskrieg“, erklärte die Bundesvorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht. „So droht ein drittes und viertes Rezessionsjahr unter Schwarz-Rot: die Merzession.“ Damit werde der künftige Kanzler Friedrich Merz die AfD weiter stärken. Wagenknecht forderte „vernünftige Abgeordnete“ und die Basis von Union und SPD auf, den Koalitionsvertrag zu stoppen.