CDU/CSU und SPD haben sich auf ein Regierungsprogramm verständigt. Union und SPD stellten am frühen Nachmittag den Koalitionsvertrag vor. Die Vereinbarung soll die Grundlage für die gemeinsame Regierungsarbeit bilden. Kernpunkte sollen Reformen bei Migration, Wirtschaft und Verteidigung sein. Ein erster Überblick über die wichtigsten Entscheidungen:
Bürgergeld:
Beim heutigen Bürgergeld planen Union und SPD deutliche Verschärfungen. Das bisherige System soll nach der Einigung von CDU/CSU und Sozialdemokraten zu „einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben. Vorgesehen ist dazu die Beseitigung von Vermittlungshürden.
Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen „im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft werden. Schneller als heute sollen Sanktionen durchgesetzt werden. Leistungen sollen vollständig entzogen werden, wenn Menschen, die arbeiten können, wiederholt zumutbare Arbeit verweigern. Geltende Schonzeiten für Vermögen sollen abgeschafft werden; die Höhe des Schonvermögens soll an die Lebensleistung gekoppelt werden.
Auch bei der Berechnung der Regelsätze soll sich etwas ändern. Mit der Einführung des Bürgergelds wurde ab dem 1. Januar 2023 bei der Fortschreibung der sogenannten Regelbedarfe die aktuelle Inflation stärker berücksichtigt. Hier sollen wieder die alten Regeln gelten und die Regelsätze mit mehr Nachlauf an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden.
Migration/Einbürgerung
Union und SPD haben sich im Migrationsbereich auf eine „Rückführungsoffensive“ geeinigt. Der Koalitionsvertrag sieht zudem vor, freiwillige Aufnahmeprogramme des Bundes „soweit wie möglich“ zu beenden. Die sogenannte Turbo-Einbürgerung der Ampel-Regierung nach bereits drei Jahren soll wieder abgeschafft werden. An der Reduzierung der Wartefrist für normale Einbürgerungen von acht auf fünf Jahre und an der Erlaubnis für den Doppelpass will man demnach aber festhalten. Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus sollen zudem zwei Jahre lang keine Familienangehörigen mehr nach Deutschland holen dürfen. CDU, CSU und SPD haben sich darauf verständigt, dass der Familiennachzug für diesen Personenkreis nur noch in Härtefällen erlaubt sein soll. Aktuell gilt für die Angehörigen von Menschen mit subsidiärem Schutzstatus ein Kontingent von 1000 Einreiseerlaubnissen pro Monat.
Rente
Das Rentenniveau in Deutschland soll bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent abgesichert werden. „Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, gleichen wir mit Steuermitteln aus“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Das Rentenniveau von 48 Prozent war ein erklärtes Ziel der SPD in den Koalitionsverhandlungen. Auch künftig soll zudem nach 45 Beitragsjahren ein abschlagsfreier Renteneintritt möglich bleiben.
Zugleich sollen finanzielle Anreize für das Arbeiten im Alter geschaffen werden. „Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente“, heißt es im Vertrag. Arbeiten im Alter solle mit einer Aktivrente attraktiv werden, das war vor allem eine CDU-Forderung. „Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei.“
Die Mütterrente soll ausgebaut werden – das wurde von der CSU vorangetrieben: Sie werde mit drei Rentenpunkten für alle vollendet, „unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder“, um allen Müttern die gleiche Wertschätzung und Anerkennung zu gewährleisten. Auch diese Finanzierung soll aus Steuermitteln erfolgen, wie aus dem Vertrag weiter hervorgeht.
Wehrpflicht
Die Koalition aus Union und SPD will trotz der Bedrohung durch Russland die Wehrpflicht zunächst nicht wiedereinführen. „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, heißt es im Koalitionsvertrag. „Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen“, heißt es weiter. Männer und Frauen werden angeschrieben und können sich freiwillig melden. Das Modell vom amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius sieht vor, dass nur Männer antworten müssen. Noch in diesem Jahr sollten dazu die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung geschaffen werden.
Die Ausgaben für Verteidigung sollen erhöht werden, eine bestimmte Quote von der Wirtschaftsleistung wird aber nicht vorgegeben. „Die Ausgaben für unsere Verteidigung müssen bis zum Ende der Legislaturperiode deutlich und stringent steigen“, heißt es. „Die Höhe unserer Verteidigungsausgaben richtet sich nach den in der Nato gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen.“
Um den Kauf von Rüstungsgütern zu erleichtern, soll es ein Beschleunigungsgesetz zur Beschaffung geben. Das Genehmigungs- und Vergaberecht soll vereinfacht werden.
Steuern
Zur Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern will die künftige Regierung die Stromsteuer senken und einen Industriestrompreis für energieintensive Firmen einführen. Die Stromsteuer werde für alle „auf das europäische Mindestmaß“ gesenkt, Umlagen und Netzentgelte würden reduziert, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Außerdem soll die Körperschaftsteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt werden – beginnend ab 2028.
Pendlerpauschale
Union und SPD wollen Pendler steuerlich entlasten. Wie aus dem Koalitionsvertrag hervorgeht, soll die Pendlerpauschale ab 2026 bereits vom ersten Kilometer an bei 38 Cent liegen. Mit der Pendlerpauschale lassen sich die Fahrtkosten für den Weg zur Arbeit steuerlich absetzen – und zwar unabhängig davon, mit welchem Verkehrsmittel man unterwegs ist. Aktuell liegt die Pauschale für die ersten 20 Kilometer Wegstrecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz bei 30 Cent pro Kilometer. Erst ab dem 21. Kilometer kann man 38 Cent ansetzen. Gerechnet wird dabei immer mit der einfachen Wegstrecke, also nicht mit Hin- und Rückfahrt zusammen.
Deutschlandticket
Union und SPD haben die Fortsetzung des Deutschlandtickets vereinbart. Anders als im Sondierungspapier von Ende März sieht der Koalitionsvertrag Preissteigerungen für das Monatsabo aber erst ab 2029 vor. Zuvor war 2027 als Startdatum für „schrittweise und sozialverträglich“ Preiserhöhungen genannt worden. Derzeit kostet das Ticket 58 Euro im Monat.
Das staatlich subventionierte Angebot, das deutschlandweit Fahrten im öffentlichen Nahverkehr ermöglicht, hatte bei Einführung vor knapp zwei Jahren 49 Euro im Monat gekostet. In diesem Januar stieg der Preis auf 58 Euro.
Heizungsgesetz
Union und SPD wollen das Heizungsgesetz (eigentlich Gebäudeenergiegesetz) streichen. „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Das neue Gebäudeenergiegesetz solle „technologieoffener, flexibler und einfacher“ werden. Die erreichbare CO2-Vermeidung solle „zur zentralen Steuerungsgröße“ werden.
Das gegenwärtige Gebäudeenergiegesetz ist seit Anfang 2024 in Kraft. Ziel sind mehr Klimaschutz im Gebäudebereich und ein schrittweiser Umstieg auf klimafreundlichere Heizungen.
Nationaler Sicherheitsrat
Union und SPD wollen einen Nationalen Sicherheitsrat schaffen. „Wir entwickeln den Bundessicherheitsrat, im Rahmen des Ressortprinzips, zu einem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt weiter“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Der Sicherheitsrat soll Informationen über Krisenlagen bündeln und schnellere Entscheidungen ermöglichen. „Er soll die wesentlichen Fragen einer integrierten Sicherheitspolitik koordinieren, Strategieentwicklung und strategische Vorausschau leisten, eine gemeinsame Lagebewertung vornehmen und somit das Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung sein“, heißt es.
Für eine ganzheitliche Bewältigung von Krisen brauche Deutschland einen Bund-Länder- und ressortübergreifenden Nationalen Krisenstab der Bundesregierung und ein Nationales Lagezentrum im Bundeskanzleramt, in dem ressortübergreifend ein Gesamtlagebild zusammengefügt wird.
Innere Sicherheit
Union und SPD wollen Telekommunikationsanbieter künftig dazu verpflichten, IP-Adressen für mögliche Ermittlungen drei Monate lang zu speichern. Wegen rechtlicher Unsicherheiten war die alte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung seit 2017 nicht mehr genutzt worden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einem Urteil vom Frühjahr 2024 festgehalten, dass die EU-Mitgliedstaaten Internetprovidern die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen auferlegen können, unter der Voraussetzung, dass diese strikt getrennt von den dieser Adresse zugeordneten Identitätsdaten gespeichert werden. Zugriff auf die personenbezogenen Daten soll nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Verbrechensbekämpfung erlaubt sein.
Elterngeld
Künftige Eltern können auf ein höheres Elterngeld hoffen. Union und SPD haben sich darauf verständigt, die Beträge „spürbar“ zu erhöhen. Demnach sollen sowohl der Mindestsatz von derzeit 300 Euro als auch der Höchstsatz von 1800 Euro angehoben werden. Wie hoch die Steigerung künftig ausfallen soll, ist bisher unklar. Geplant ist auch die Einführung eines Elterngelds für Pflegeeltern. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir stärken die Rechte von Pflegeeltern und führen für sie ein Elterngeld ein.“
Elterngeld gibt es als Einkommensersatz für Mütter und Väter, wenn sie für die Kinderbetreuung eine Auszeit von der Arbeit nehmen. Es beträgt in der Regel 65 Prozent des Netto-Verdienstes vor der Geburt, mindestens aber 300 Euro und höchstens 1800 Euro pro Monat. Wie das Bundesfamilienministerium auf dpa-Anfrage mitteilt, erhielten im vergangenen Jahr knapp 1,67 Millionen Elternteile die Leistung. Davon bekamen 290.105 Personen den Höchstbetrag und 349.157 den Mindestsatz.