Freitag, 15.November 2024 | 08:01

Merz und Söder greifen an, Scholz schaltet in Sozi-Modus

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Die Ampel kaputt, die Mehrheit zum Regieren futsch, die Union in Umfragen meilenweit vorn. Für Bundeskanzler Olaf Scholz sind die Aussichten so trüb wie Novemberwolken über dem Berliner Regierungsviertel.

Doch an diesem Nachmittag zeigte der Bundeskanzler im Bundestag: Er hat noch Hoffnung für die Bundestagswahl am 23. Februar. Mit seiner Regierungserklärung eröffnete er schon mal den Wahlkampf, stürzte sich geradezu hinein. Dabei sah er sich erstmals Angriffen von beiden Chefs der Unionsparteien ausgesetzt. Neben CDU-Chef Friedrich Merz sprach auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder im Bundestag – eine Premiere. Beide warfen dem Regierungschef vor, das Land zu spalten. Was er selbst nach eigener Aussage verhindern will.

„Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen, jeder gegen jeden, kommt“, rief Scholz als erster Redner in das voll besetzte Plenum. „Ich will nicht, dass das Eine gegen das Andere ausgespielt wird.“ Ohne Zweifel müsse mehr für Verteidigung ausgegeben werden. Das dürfe „niemals zu Lasten von Rente, Gesundheit oder Pflege“ gehen. „Ich werde die Bürgerinnen und Bürger niemals vor die Wahl stellen: Entweder wir investieren in unsere Sicherheit oder in gute Arbeitsplätze, Bundeswehr oder sichere Renten, Ukraine oder investieren in Deutschland. Dieses Entweder-Oder ist falsch und wird unser Land spalten!“

Scholz machte damit überdeutlich, mit welcher Botschaft er als SPD-Kandidat gegen seinen Unionsherausforderer, CDU-Chef Friedrich Merz, bei der Wahl am 23. Februar bestehen will: keine Kürzungen im Sozialen wegen der horrenden Kosten für Ukraine, Bundeswehr und Infrastruktur. Dies zu wollen, unterstellte er mehr oder weniger offen den Unionsparteien. So versuchte er, einen klaren Kontrast zwischen sich und seinem Herausforderer zu ziehen – und zugleich vom Scheitern seiner Regierung, der Wirtschaftsflaute, der fehlenden Haushaltseinigung und dem Vertrauensverlust für sich und seine Partei abzulenken.

Merz übte in seiner Antwort heftige Kritik am Kanzler, im für ihn typischen standpaukenhaften Duktus. So blieb er eher der Rolle des Oppositionsführers verhaftet, statt als Bundeskanzler im Wartestand aufzutreten. „Was Sie hier vorgetragen haben, ist nicht von dieser Welt. Sie leben offensichtlich in ihrer eigenen Welt, Sie haben nicht verstanden, was draußen im Lande im Augenblick geschieht“, hielt er ihm vor. Deutschland brauche eine grundlegend andere Politik. Die Wirtschaft müsse wieder international wettbewerbsfähig werden, das Bürgergeld „vom Kopf auf die Füße gestellt“ werden und die Zuwanderung auch mit Zurückweisungen an den Grenzen unter Kontrolle gebracht werden.

Ein Novum war der Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Der erwartete Doppelangriff der Parteichefs auf Scholz gelang allerdings nur so halb, weil der CSU-Vorsitzende erst mehr als eine Stunde nach Merz sprach. Dann lieferte Söder aber die Frontalattacke. Die Ampel sei die schwächste deutsche Regierung aller Zeiten gewesen, Scholz solle sich ein Beispiel an US-Präsident Joe Biden nehmen und zurücktreten. Auch an den Grünen arbeitete er sich ab – Wirtschaftsminister Robert Habeck sei das Gesicht der Krise und solle ebenfalls abtreten. Wie üblich sorgte er für einige Lacher in den eigenen Reihen – aber immer wieder auch auf der Linken, die seine Rede mit „Bierzelt! Bierzelt!“-Rufen kommentierten oder in Gelächter ausbrachen, als ausgerechnet der selbstbewusste Bayer Scholz ein zu großes Ego vorwarf.

Es war die erste Plenardebatte mit Scholz und Merz seit dem vergangenen Mittwoch, an dessen Morgen Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gewann und am Abend daheim die Ampel-Koalition zerbrach. Mit seinen deftigen Worten über Finanzminister Christian Lindner hatte Scholz anschließend versucht, dem FDP-Chef die Schuld am Scheitern zuzuschustern. Eine wichtige Flanke hatte die SPD gerade noch vor der Sitzung geschlossen. Mit der Union einigte sie sich auf einen Neuwahltermin und nahm dadurch einigen Druck aus der Debatte.

Lindner gab sich in seiner Rede alle Mühe, der „Regierung Scholz“ die Verantwortung zuzuschieben. Er verteidigte das Nein zum Aussetzen der Schuldenbremse und forderte weniger Bürokratie und mehr Vertrauen in den Unternehmergeist. „Manchmal ist eine Entlassung wie eine Befreiung“, sagte er über seinen Rauswurf als Finanzminister der Ampel-Koalition. Er saß nun nicht mehr auf der Regierungsbank, sondern wieder bei seiner Fraktion. Nur durch den Gang und eine Armlänge getrennt von Merz. Wirtschaftsminister Robert Habeck war dagegen gar nicht erst gekommen – sein Regierungsflieger hatte mal wieder eine Panne, der Grünen-Politiker sitzt in Lissabon fest.

Scholz wirkte in seiner etwa 30-minütigen Rede wie befreit von den Zwängen der Ampel-Koalition. „Es kann nicht sein, und es soll nicht sein, dass die Unterstützung der Ukraine dazu führt, dass es zu Einschnitten bei Rente, Pflege und Gesundheit kommt“, rief der SPD-Politiker. Das Gleiche gilt dem Kanzler zufolge für neue Straßen, Brücken und andere Infrastruktur. „Ich sage doch, es steht zur Debatte und es wird auch die eine große Debatte in der nächsten Bundestagswahl sein“, prophezeite er. Damit legte er nahe, die Opposition, insbesondere CDU, CSU und FDP, wollten genau das.

Als Beispiel nannte Scholz die Rente. Die Union lehnt es ab, dem Rentenpaket II der einstigen Ampel-Koalition zu einer Mehrheit zu verhelfen. „Wer das Rentenniveau nicht stabilisieren will, der kürzt am Ende die Renten. Sie werden geringer ausfallen für heutige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und das ist etwas, das wir nicht akzeptieren sollten. Ausdrücklich nicht mit mir!“ Merz entgegnete, manchmal sei die halbe Wahrheit schlimmer als eine ganze Unwahrheit. Der CDU-Chef hatte zuletzt betont, keine Rentenkürzung zu wollen.

Scholz warb bei mehreren Themen um Zusammenarbeit. Als Erstes nannte er ausgerechnet den Abbau der Kalten Progression im Steuerrecht. Dies hatte bislang immer Lindner in der Ampel eingefordert – der schüttelte denn auch den Kopf, drehte sich zu seiner Fraktion um und grinste leicht entgeistert. CDU und CSU wollen dem nicht zustimmen. Sie argumentieren, die Kalte Progression könnte auch nach der Regierungsbildung noch rückwirkend abgeschafft werden. Außerdem forderte Scholz eine Zusammenarbeit bei der geplanten Erhöhung des Kindergelds und den Gesetzen, die die Wirtschaft ankurbeln sollen. Als eine Art Sammelantwort kann dieses Merz-Zitat dienen: „Wir sind nicht die Auswechselspieler Ihrer Koalition.“

Einig sind sich Union und Rest-Regierung aber bei einem Gesetz zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts. Das soll gewissermaßen „AfD-sicher“ gemacht werden. Betreffende Regeln sollen ins Grundgesetz aufgenommen werden. Dann könnten die Angelegenheiten des Gerichts nur noch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden.

Zugleich bekannte sich Scholz klar zur Ukraine-Hilfe, erteilte aber einer Lieferung eines „Marschflugkörpers aus Deutschland“, gemeint war der Taurus, eine klare Absage. Auch die Erlaubnis, mit deutschen Waffen Ziele im russischen Hinterland anzugreifen, werde die Ukraine nicht bekommen, sagte er. Auch dieses Thema kann die Wahl mitentscheiden. Insbesondere SPD-Wähler hegen Zweifel an der Hilfe für das von Russland überfallene Land. Die Frage wird nun sein, wie weit Scholz mit seiner Flucht nach vorn kommt. Klar ist aber: Der dröge „Scholzomat“, ist er nicht mehr. Spätestens an diesem Mittwoch hat der Wahlkampf begonnen.

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