Es war die letzte Bundestagsdebatte vor der Wahl und sie hatte einen heimlichen Star-Gast. In den Reihen der SPD-Fraktion saß Kevin Kühnert. Der hatte sich vor vier Monaten wegen einer Erkrankung aus der Politik zurückgezogen und sein Amt als Generalsekretär der SPD an Matthias Miersch abgegeben. Als am Dienstag der 20. Bundestag letztmalig zusammentrat, gab Kühnert aber ein kleines Comeback.
Nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz stand von der Regierungsbank auf, um Kühnert persönlich zu begrüßen. Auch mehrere Abgeordnete anderer Fraktionen gingen auf den 35-Jährigen zu, um ihn zu begrüßen, darunter der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Dem kommenden Bundestag wird der Berliner nicht mehr angehören, weil er nicht kandidiert.
Kühnert stand am Ende der dreieinhalbstündigen Debatte auf der Rednerliste. Er nahm die gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD zur Migrationspolitik zum Anlass, den Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz sehr grundsätzlich zu kritisieren. Kühnert erinnerte daran, dass wegen dieser Abstimmungen mit Michel Friedman der prominenteste in Deutschland lebende Jude aus der CDU ausgetreten ist. „Es gab Zeiten, da wäre anschließend in der CDU kein Stein auf dem anderen geblieben, heute wird der Störenfried angestrengt ignoriert“, sagte Kühnert.
Merz habe auch während des TV-Duells mit Bundeskanzler Scholz Fragen und Nachfragen der Moderatorinnen zu Friedman nicht beantwortet. „Merz ignorierte den Kritiker einfach und erklärte, es habe in derselben Zeit hunderte von neuen Eintritten in die CDU gegeben.“ Kühnert leitete daraus ein Urteil über die Person Merz ab: „Es ist wichtig zu erkennen, welches Muster hier erkennbar wird: Die Opportunität sticht die Integrität.“ Sprich: Merz seien Macht und Erfolg wichtiger als Prinzipientreue.
„Eine Echokammer auf zwei Beinen“
Kühnert sagte, die demokratischen Parteien müssten immer den bundesrepublikanischen Grundkonsens verteidigen, so wie es die CDU- und SPD-Kanzler in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik getan hätten, etwa bei der Verteidigung des Existenzrechts Israels oder der Westbindung. „Adenauer, Brandt, Schmidt, Weizsäcker und Kohl haben sich für ihre Überzeugungen als ‚Büttel der Amerikaner‘ und ‚rote Brüder‘ beschimpfen lassen“, sagte Kühnert. „Sie rangen für ihre Überzeugung und die Geschichte gab ihnen recht.“
Eben diese Bereitschaft sprach Kühnert dem CDU-Vorsitzenden ab. „Sie geben das Ringen zunehmend auf und das kritisiere ich“, sagte Kühnert. „Ein Bundeskanzler, dessen Mund aber bloß wiedergibt, was ihm zu Ohren kommt, der ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen. Und Echokammern haben wir schon genug in diesem Land.“
Zustimmung aus der Union
Merz nahm die Kritik weitgehend regungslos hin, Applaus gab es dennoch aus der Union für Kühnert. Eingangs seiner Rede verurteilte er einen überzogenen Umgang der Unionskritiker mit CDU und CSU: „Nein, Union und FDP sind keine Faschisten, auch nicht klammheimlich“, sagte Kühnert. „Man stürmt keine Geschäftsstellen, man zerstört keine Plakate, man droht anderen Menschen nicht. Der richtige Konflikt darf nicht mit den falschen Argumenten ausgetragen werden“, mahnte Kühnert.
Am Ende seiner Rede wünschte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ihrem jungen Parteikollegen „alles Gute auf deinem Weg, auch wieder gesund zu werden“. Ob und welche Pläne Kühnert nach seiner Genesung verfolgt, ist nicht bekannt. Der Freund des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil hatte sich seit seinem überraschenden Rückzug Anfang November nicht mehr öffentlich geäußert.