Der frühere Bundesfinanzminister Christian Lindner hat den Kurs von Grünen-Ministerien beim Atomausstieg deutlich kritisiert. Der FDP-Chef sagte zu Beginn seiner Befragung im Untersuchungsausschuss des Bundestags, bei den Grünen sei die Bereitschaft zu undogmatischen Entscheidungen bei der Frage der Kernenergie an Grenzen gestoßen. Aus heutiger Sicht hätten parteipolitische und taktische Erwägungen eine größere Rolle gespielt, als er damals glaubte, zu beobachten.
Wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges liefen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland ein paar Monate länger als ursprünglich geplant. So verschob sich der deutsche Atomausstieg vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023. Vorausgegangen war nach Streit innerhalb der damaligen Ampel-Koalition ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz im Herbst 2022. Lindner sagte, der Nutzung der Richtlinienkompetenz durch den SPD-Politiker sei eine intensive Beratung zwischen ihm, Scholz und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck vorausgegangen. Die Entscheidung sei abgestimmt gewesen.
Vor allem die Union wirft Habeck und der grünen Umweltministerin Steffi Lemke vor, nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland nicht „ergebnisoffen“ und „unvoreingenommen“ geprüft, sondern aus ideologischen Gründen entschieden zu haben.
Lindner war für längeren Weiterbetrieb
Lindner sagte mit Blick auf den Herbst 2022 und die grün-geführten Ministerien, im Finanzministerium seien die Zweifel gewachsen, dass es sich um eine vollumfängliche ergebnisoffene Prüfung gehandelt habe. Aus seiner Sicht wäre maximaler Pragmatismus notwendig gewesen, um angesichts der stark steigenden Preise für zusätzliches Stromangebot zu sorgen.
Seine Haltung sei gewesen, dass alle drei Kernkraftwerke mindestens bis und über den Winter 2023/24 weiter laufen sollten, so Lindner. Außerdem habe er auch als Option gesehen, 2021 abgeschaltete Kernkraftwerke zurück ans Netz zu holen, falls möglich. Es habe im Herbst weitergehende Optionen gegeben, so Lindner. Mit Blick auf die Grünen sagte er: „Aber der politische Wille fehlte.“
Lemke verweist auf Sicherheit und Kosten
Zuvor betonte Umweltministerin Lemke die Bedeutung der nuklearen Sicherheit für alle Entscheidungen ihres Hauses. „Sicherheit ist ein hohes Gut“, sagte die Grünen-Politikerin bei ihrer Befragung. „Ohne Sicherheit würde unser Gemeinwesen nicht funktionieren.“ Insbesondere die nukleare Sicherheit von Atomkraftwerken sei 2022, als die Entscheidungen zu möglichen Laufzeitverlängerungen geprüft wurden, die Maßgabe für jedes „verantwortliche Regierungshandeln“ gewesen, erklärte Lemke.
Die Vorwürfe der Union wies Lemke im Ausschuss deutlich zurück. Ihr Haus habe eine „sorgfältige Prüfung vorgenommen“, bekräftigte sie. Im Februar 2022 sei es die Aufgabe ihres Ministeriums gewesen, darzulegen, unter welchen Bedingungen eine Laufzeitverlängerung der drei letzten Atomkraftwerke möglich wäre. Ihr Ministerium habe nie dargelegt, dass das unmöglich sei, sondern vielmehr die Bedingungen für eine mehrjährige Laufzeitverlängerung benannt, sagte Lemke.
Diese Bedingungen, die laut der Ministerin von den Betreibern genannt worden waren, seien weder für sie noch für die Bundesregierung hinnehmbar gewesen. Die Betreiber hätten im Falle einer längerfristigen Laufzeitverlängerung sowohl die Verantwortung für die Kosten als auch für die Risiken an den Staat übertragen, sagte Lemke. Dies sei für sie und die gesamte Bundesregierung „nicht verantwortbar“ gewesen. Daraufhin sei die Option einer langjährigen Laufzeitverlängerung verworfen worden.