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Heftige Kritik an Merz und Union wegen Migrations-Abstimmung

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Beispielloser Vorgang im Bundestag: Erstmals hat ein Antrag mit Hilfe der AfD eine Mehrheit erhalten. Die in Teilen als rechtsextremistisch eingestufte Partei stimmte für einen Fünf-Punkte-Plan von CDU/CSU zur Verschärfung der Migrationspolitik. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses erhoben SPD, Grüne und Linke schwere Vorwürfe gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der Stimmen der AfD im Vorfeld ausdrücklich in Kauf genommen hatte.

Kanzler Olaf Scholz hat sich betroffen gezeigt. Er werde „noch eine Zeit brauchen, zu verarbeiten, was wir heute gemeinsam erlebt haben. Dieser Tag wird sicherlich von manchen als historisch beschrieben werden“, hieß es von Scholz auf X. „Das ist ein schlechtes Zeichen. Für das Parlament. Und auch für unser Land.“ Auf seinem als Bundestagsabgeordneter angelegten Konto fuhr er fort: „Das erste Mal ist im Deutschen Bundestag ein Antrag mit einer Mehrheit beschlossen worden, die auch von der AfD getragen wurde.“

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, die Union sei „aus der politischen Mitte dieses Hauses“ ausgebrochen. Merz habe „leichtfertig“ und „wissentlich“ die AfD-Unterstützung in Kauf genommen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht die Union nach der Abstimmung über ihren Antrag für eine verschärfte Migrationspolitik auf einem gefährlichen Weg.

„CDU und CSU haben heute erstmals im Bund die demokratische Mitte verlassen“, sagte die SPD-Politikerin. „Die Union hat gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten der AfD gemacht, um rechtswidrige Beschlüsse zu fassen“, empörte sich die Ministerin. Dies sei sowohl ein nationaler Irrweg als auch unverantwortlich und „geschichtsvergessen“.

Der Bundestag hatte zuvor in namentlicher Abstimmung den Entschließungsantrag der Union mehrheitlich unterstützt, der Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen vorsieht. Für den Antrag stimmten 187 Abgeordnete der Union, 75 AfD-Abgeordnete sowie 80 Angehörige der FDP-Fraktion sowie 6 Fraktionslose. Zusammen sind das 348 Stimmen. 344 Abgeordnete waren dagegen. Der Antrag hat keine rechtlich bindende Wirkung.

„Merz weiß nicht, was er angerichtet hat“

Das Agieren der Union und ihres Vorsitzenden, Friedrich Merz, bedeute den endgültigen Bruch mit der Politik der Ex-Kanzlerin Angela Merkel und des Ex-Kanzlers Helmut Kohl, erklärte Faeser. „Herr Merz weiß nicht, was er angerichtet hat“, sagte die Innenministerin. So wie er könne nur jemand handeln, der noch nie Verantwortung getragen habe.

Grünen-Ko-Fraktionschefin Britta Haßelmann sprach nach der Abstimmung von einem „historischen Tag – und zwar im negativen Sinne“. „Das haben Sie zu verantworten“, sagte Haßelmann in Richtung von Merz. Der CDU-Chef werde „einen hohen Preis“ zahlen und fortan „ein Getriebener“ sein.

Linken-Chef sieht „Wendepunkt der Demokratie“

Der Linken-Parteichef Jan van Aken sagte, die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD im Bundestag zur Migrationspolitik sei ein Wendepunkt der Demokratie. „Wir werden uns noch in Jahrzehnten an diesen Tag heute erinnern, als die Konservativen und die Faschisten zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten schon wieder gemeinsame Sache gemacht haben.“ Viele Menschen in Deutschland hätten Angst, sagte van Aken.

Seine Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner sagte: „Die Brandmauer ist gefallen“. Die Linke müsse „dem Faschismus entgegentreten, überall“. Die Konservativen würden immer einknicken vor der Macht, man könne sich auf Zusagen nicht verlassen. Die Linken-Gruppenchefin Heidi Reichinnek sprach von einem „Dammbruch“. Sie rief SPD und Grüne auf, eine Koalition mit der Union nach der Bundestagswahl auszuschließen.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zeigte sich enttäuscht über die Zustimmung des Bundestags zum Antrag der Union. „Klar ist, dass im Interesse unserer Gesellschaft, ein Wandel im Umgang mit illegaler Migration in Deutschland notwendig ist. Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land – auch in Zeiten des Wahlkampfs – nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben“, sagte er nach der Abstimmung. Indem die AfD wiederholt diese Rolle erhalte, „lassen wir zu, dass Rechtspopulismus und Rechtsextremismus unsere gesellschaftlichen Debatten bestimmen“.

Unions-Politiker verteidigen Migrations-Abstimmung

Merz verteidigte sein Verhalten. Er bedauere zwar, dass die Mehrheit mit der AfD zustande gekommen sei, sagte er. Die anderen Parteien könnten seiner Fraktion aber „nicht das Recht absprechen, dass wir hier Anträge zur Abstimmung stellen, die wir für richtig halten“. Er mache SPD und Grünen nun ein „Angebot“, sich bis Freitag gemeinsam mit der Union auf ein Gesetz zur Migration zu einigen.

Auch der Parlamentsgeschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei, hat die Anträge seiner Partei verteidigt. „Die Menschen erwarten mehr von uns als Betroffenheitsbekundungen“, sagte Frei im ZDF. „Wir müssen ins Handeln kommen. Wir hätten uns ein Handeln der Bundesregierung gewünscht, ein Handeln aus der Mitte des Parlaments“, fügte er hinzu.

Der CDU-Politiker verneinte die Frage, ob die heutige Abstimmung eine Vorbereitung für eine CDU-Minderheitsregierung nach der Wahl sei. „Die jetzige Situation zeigt doch gerade, dass Minderheitsregierungen in Deutschland nicht funktionieren. Jedenfalls nicht auf Bundesebene“, sagte Frei. „Wir haben hier so große Entscheidungen von so großer Tragweite zu treffen, dass wir dafür eine stabile Regierung mit eigener Mehrheit benötigen.“

AfD sieht Beginn einer „neuen Epoche“

AfD-Chefin Alice Weidel sprach von einem „historischen Tag für Deutschland“. Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann betonte: „Jetzt beginnt etwas Neues und das führen wir an.“. Die AfD-Fraktion schrieb mit Blick auf den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der Bündnisse und Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt, im Online-Dienst X: „Die Brandmauer bröckelt.“

„Herr Merz, Sie haben geholfen, den hervorzubringen“, rief Fraktionsgeschäftsführer Bernd Baumann dem CDU-Chef zu. „Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an, das führen die neuen Kräfte an, das sind die Kräfte von der AfD.“

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