Nach dem bundesweit Aufsehen erregenden Vorfall um eine ghanaische Familie in Grevesmühlen ermittelt die Polizei laut einer Sprecherin gegen eine einstellige Zahl Tatverdächtiger wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Auch der Verdacht der Volksverhetzung stehe im Raum, sagte die Sprecherin des Polizeipräsidiums Rostock der Deutschen Presse-Agentur. Zwei der inzwischen namentlich bekannten Tatverdächtigen seien im Zusammenhang mit politisch motivierter Kriminalität bereits polizeibekannt.
Auslöser des Vorfalls vom Freitagabend war den Ermittlungen zufolge ein elfjähriger Junge, der einem Kind aus der ghanaischen Familie, einem rollerfahrenden achtjährigen Mädchen, ein Bein gestellt haben soll. Als der Vater eine Gruppe Jugendlicher am Ort des Geschehens habe zur Rede stellen wollen, sei ein verbaler und teils auch körperlich ausgetragener Streit entbrannt, so die Polizeisprecherin. Der Vater sei dabei leicht verletzt worden. Auch er wurde demnach unter dem Vorwurf der Körperverletzung angezeigt.
In einer ersten Meldung hatte die Polizei davon gesprochen, dass dem Mädchen ins Gesicht getreten worden sein solle und es verletzt worden sei. Dies hatte sie auf Basis neuer Erkenntnisse am Montag korrigiert: Demnach erlitt das Mädchen keine körperlichen Verletzungen, die auf eine solche Tat schließen lassen.
Einem Bericht des „Tagesspiegels“ zufolge sollen Mitglieder der Gruppe deutscher Jugendlicher kurz vor dem Zwischenfall bereits auf dem Stadtfest von Grevesmühlen durch ausländerfeindliche Parolen aufgefallen sein. Sicherheitsdienst und Polizei hätten Platzverweise ausgesprochen. Die Polizeisprecherin bestätigte auf Nachfrage, dass eine Gruppe auf dem Stadtfest entsprechend aufgefallen ist. Ob es sich um dieselben Personen handele, werde noch ermittelt.
Grevesmühlens Bürgermeister Lars Prahler (parteilos) sagte der Deutschen Presse-Agentur, es gebe in Grevesmühlen „an den Rändern Jugendliche, die wir nicht erreichen können“. In der 10 500 Einwohner zählenden Stadt gehe es wirtschaftlich voran, es seien Ausbildungs- und Arbeitsplätze vorhanden, es gebe einen funktionierenden Jugendklub, Schulsozialarbeiter und Anti-Rassismus-Programme an den Schulen. Die Frage, wie man die genannten Jugendlichen erreichen könne, beschäftige ihn. Am Donnerstag ist nach seinen Worten eine Menschenkette verschiedener Initiativen in Grevesmühlen für Toleranz und Zusammenhalt geplant.
Prahler sagte, es habe nicht den anfangs vermuteten Tritt ins Gesicht des achtjährigen Mädchens gegeben, doch Videos von der anschließenden Auseinandersetzung der Eltern mit Jugendlichen am Ort des Geschehens belegten, dass rassistische Äußerungen gefallen seien und es auch ein starkes Bedrohungspotenzial gegeben habe.
Auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warnte vor einer Verharmlosung des Vorfalls. „Es ist gut, dass das Mädchen körperlich unverletzt geblieben ist“, erklärte sie. „Jede Mutter und jeder Vater weiß, dass der Schock tief sitzt.“ Für Angriffe auf Kinder und fremdenfeindliche Beleidigungen dürfe es keinen Platz geben. Die Nordkirche rief für Donnerstag zu Menschenketten mit Kerzen rund um die Kirchen in MV auf.
Aus der Opposition im Schweriner Landtag, von CDU und AfD, kam indes Kritik am Umgang von Politikern mit dem Vorfall. Die innenpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Ann Christin von Allwörden, kündigte am Dienstag an, das Thema auf die Tagesordnung des Innenausschusses setzen zu lassen. Es könne hier ein „sehr unglückliches“ Zusammenspiel von Politik und Medien vorliegen, erklärte sie. Nachdem die Polizei anfänglich mitgeteilt hatte, dass dem Kind ins Gesicht getreten worden sein sollte, war bundesweit ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. Der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer, erklärte: „Der in den vergangenen Tagen vermittelte Eindruck, ein Teenie-Nazi-Mob zöge durch Grevesmühlen, hält einer näheren Prüfung nicht stand.“
Den Hergang des Zwischenfalls am Ploggenseering stellt die Polizei nach den bisherigen Ermittlungen so dar: Die Achtjährige hat demnach mit ihrem Roller an dem Elfjährigen vorbeifahren wollen. Er soll ihr mit seinem ausgestreckten Bein den Weg verstellt und sie mit der Fußspitze getroffen haben. Das Mädchen sei nicht gestürzt und nicht verletzt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich eine größere Gruppe Jugendlicher in dem Bereich aufgehalten. Die Achtjährige und die sie begleitende zehnjährige Schwester hätten sich daraufhin verängstigt und weinend an ihre Eltern gewandt.
„Wir sind noch mitten in den Ermittlungen“, sagte die Polizeisprecherin. Unklar sei zum Beispiel auch noch die Motivation des Elfjährigen, der nicht strafmündig sei.