Der traditionelle Boys’ und Girls’Day mit Schnupper-Praktika in Berufen, die gemeinhin dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet werden, leidet in Mecklenburg-Vorpommern unter den Spätfolgen der Corona-Epidemie.
Wie die Bildungsexpertin der Vereinigung der Unternehmensverbände MV, Susan Bach, am Dienstag in Schwerin mitteilte, liegen für den Aktionstag zur klischeefreien Berufsorientierung am 27. April für Mädchen landesweit 1463 Angebote vor. 2019 habe es rund 2600 solcher Praktikumsplätze gegeben. Auch für Jungs bleibe das Angebot mit bislang 738 Plätzen hinter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit zurück.
Vor allem kleine Unternehmen hielten sich oft noch bedeckt, sagte Bach. Doch auch die Schulen hätten das Thema noch nicht wieder so auf dem Schirm wie vor Corona, so dass auch die angebotenen Plätze noch nicht vollständig gebucht seien. Doch komme erfahrungsgemäß unmittelbar vor dem Aktionstag deutlich Schwung in die Sache.
„Wir sind froh, dass es den Girls’Day und den Boys’Day nun wieder in Präsenz gibt“, sagte Lisanne Straka, beim DGB Nord zuständig für Frauen und Gleichstellung. Die landesweite Auftaktveranstaltung finde in diesem Jahr an der Hochschule Neubrandenburg statt, die gezielt Jungs zur Aufnahme eines Studiums für Soziale Arbeit, Haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheits- und Erziehungsberufe motivieren wolle.
„Wir brauchen mehr männliche Vorbilder und Bezugspersonen in den sozialen und Gesundheitsberufen“, betonte Straka. Doch auch höhere Wertschätzung und bessere Bezahlung würden die Bereitschaft erhöhen, den Blick bei der Berufswahl zu weiten. Bach hingegen sieht für Mädchen viele Möglichkeiten, auch in Handwerk und Industrie einen erfüllenden Beruf zu finden. „Körperliche Belastungen müssen längst kein Hinderungsgrund mehr sein. Es gibt inzwischen viele technische Hilfsmittel“, betonte sie. Viele Branchen klagen auch im Nordosten über zunehmende Probleme, überhaupt Fachkräfte zu finden.
Nach den Worten der auch für Gleichstellung zuständigen Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) tragen Girls‘ und Boys‘Day dazu bei, Toleranz zu fördern und alte Muster aufsprengen. „Das Bekenntnis zur Gleichstellung beginnt im Kindesalter“, sagte Bernhardt, betonte zugleich aber, dass es nicht um Gleichmacherei gehe, sondern um gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Pflichten. Sie appellierte an Eltern, Schulen und Jugendliche, die Schnupper-Angebote am 27. April umfangreich zu nutzen.
Die Ministerin räumte ein, dass die traditionellen Rollenbilder in der Gesellschaft oft noch tief verwurzelt seien. So hätten sich etwa für eine Ausbildung zum oder zur Justizfachangestellten sieben Mal mehr Mädchen beworben als Jungs. Und in den Berufsschulklassen für Büroberufe seien drei Viertel junge Frauen. Es gelte mithin noch viel zu tun, um Rollenklischees zu überwinden. Bernhardt beklagte erneut auch die geringere Entlohnung in frauentypischen Berufen. Obwohl Frauen oft über bessere Bildungsabschlüsse verfügten, würden sie schlechter bezahlt. Auch das hindere Jungs, sich neuen Berufsfeldern zu öffnen.