Mitten in München spielt sich ein schräges Bild ab: Eine Horde schottischer Fußballfans sitzt in den Restaurants rund um den Marienplatz in der Sonne, trinkt Bier und hat die Zeit ihres Lebens. Und am Rande dieses Meeres von Menschen mit dunkelblauen Trikots, den traditionellen Röcken und ganz viel Bier, stehen die Münchnerinnen und Münchner, die ihr Smartphone gezückt haben, filmen, fotografieren und staunen.
Viel wurde darüber gesprochen und geschrieben: Doch jetzt ist sie da, die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Die Gastgeber fremdeln noch mit dem Turnier im eigenen Land. In einer Forsa-Umfrage gaben nur 40 Prozent der Befragten an, dass sich auf das Turnier freuen. Ein Faktor ist möglicherweise ist auch das DFB-Team, das bislang noch ein Rätsel ist. Nur knapp ein Drittel der Befragten traut der Elf von Bundestrainer Julian Nagelsmann das Halbfinale zu.
Im Kontrast zu diesen deutschen Zahlen stehen die Szenen der fußballverrückten Schotten aus der Münchner Innenstadt. Es sind die Momente, die das Turnier ausmachen – abgesehen vom Sportlichen – und die alle Imagekampagnen mit Leben füllen. Der Marienplatz ist eine der Fanzonen in der Stadt. Dort kann man beobachten, wie schottische Fans in einer überfüllten Fußgängerzone einen überdimensionierten aufblasbaren Strand-Fußball immer wieder in die Luft schleudern und jedes Mal dabei wie verrückt laut jubeln und singen. Vor dem Rathaus, in der prallen Sonne, steht derweil ein Dudelsackspieler vor der Mariensäule. Um ihn herum haben sich Fans gescharrt, die mitsingen.
Schon am Münchner Hauptbahnhof zeichnet sich am frühen Nachmittag die Schotten-Invasion ab, die ICE-Züge in Richtung der „Host City“ sind überfüllt. Unter den Passagieren sind viele von der Insel angereist. Wenn man die Scots nicht an ihrer Kleidung erkennt (Trikot oder Kilt), dann an dem heftigen Akzent, der für das ungeübte Ohr nahezu unverständlich ist. Viele der Züge sind auch noch verspätet, das liegt aber nicht nur am Besucheransturm, sondern auch daran, dass die Bahn im Süden Deutschlands immer noch mit den Folgen der verheerenden Fluten kämpft. Der „Süddeutschen Zeitung“ verriet der Fahrgastverband Pro Bahn, dass Anreisende doch besser gleich zwei Stunden Puffer einplanen sollten, um pünktlich zu sein.
Auch bei den schottischen Anhängern läuft nicht alles glatt. Am Vorabend feierten rund 60.000 Menschen friedlich den Beginn der Europameisterschaft beim Fanfest auf der Theresienwiese mit der Live-Musik von Ed Sheeran, Mark Forster, Nelly Furtado, Dylan und Tim Bendzko. Danach zogen einige Hundert schottische Fans noch weiter zum Marienplatz, um den Abend ausklingen zu lassen. Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, hätten einige angefangen, in zwei umliegenden Restaurants zu randalieren. Die Polizei bestätigte dem Blatt einen größeren Einsatz. Dabei sollen aber nur Stühle, Tische und Biergläser zu Bruch gegangen sein.
Offiziell beginnt die Heim-EM erst am Freitag, da rollt zum ersten Mal der Ball. Das DFB-Team eröffnet das Turnier mit der ersten Vorrundenpartie gegen Schottland. Im Stadion finden nur 10.000 der angereisten Gäste Platz, der Rest muss sich mit der sogenannten Fanzone am Marienplatz oder den Brauhäusern abfinden. Und das werden ganz schön viele sein: In Medien kursiert die unglaubliche Zahl von 200.000 angereisten Fans von der Insel. Die Eindrücke aus der Münchner Innenstadt zeigen: Sie scheint nicht erfunden zu sein.