Die Regierungsbildung in Deutschland stößt auch im Ausland auf breites Interesse. Nachdem sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag verständigt haben, heben viele Medien in ihren Kommentaren vor allem auf die riesigen Herausforderungen ab, vor denen Friedrich Merz als Bundeskanzler stehen wird – sowohl innen- als auch außenpolitisch.
„Merz muss liefern. Ihm sitzt die AfD im Nacken“, schreibt „Die Presse“ aus Österreich. „Es handelt sich vielleicht um die letzte Chance der Mitte in Deutschland. Innenpolitisch wird die Koalition den Rechtspopulisten nur das Wasser abgraben können, wenn sie die irreguläre Migration in den Griff bekommt“, heißt es weiter. Für die EU sei Merz nach den kleinmütigen Phantomjahren unter Olaf Scholz eine Bereicherung. „Der Rechtsanwalt aus dem Sauerland ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. (…) Mit 69 Jahren betritt Merz die Bühne als Hoffnungsträger für Deutschland, Europa und die Welt. Er strahlt Selbstvertrauen aus, hat jedoch keinerlei Regierungserfahrung. Ob er dem Amt, von dem er seit Dekaden träumt, gewachsen ist, wird sich weisen.“
„Bei Kräften der politischen Mitte dominiert die Erleichterung, dass Deutschland nach der langen Agonie der letzten Regierung bald wieder handlungsfähig ist – in einer Zeit, die kaum größere Herausforderungen stellen könnte“, schreibt der Schweizer „Tages-Anzeiger“. „Unter Konservativen aber, sowie bei den radikalen Rechten im Umkreis der AfD (…) herrscht Empörung.“ Deutschland habe im Februar mehrheitlich rechts oder ganz rechts gewählt – und erhalte nun zum Dank eine „linke Regierung“, heißt es. „Und dies nur, weil sich CDU und CSU weigerten, mit der AfD zu regieren.“
„Nur in der Migrationspolitik hat die Union nahezu das Gewünschte erreicht. Sie will Migranten an der Grenze zurückweisen, den Familiennachzug aussetzen und die Liste sicherer Herkunftsländer ausweiten“, heißt es bei der „Neuen Zürcher Zeitung“. Zudem habe sie sich die beiden entscheidenden Ministerien gesichert, das Innenministerium wie das Auswärtige Amt. „Viel wird hier von der Umsetzung abhängen. (…) Auch beim künftigen Kanzler Friedrich Merz wird es darauf ankommen, wie er sein Amt ausfüllt. Er kann an den Herausforderungen wachsen. Er kann unter ihrer Last zerbrechen.“
„Die Aushandlung dieses Vertrages war vergleichsweise einfach – verglichen mit den kolossalen Herausforderungen, denen sich der Kanzler nun stellen muss: ein Land in der Rezession, eine Industriekrise, und keine einfachen Antworten auf den wirtschaftlichen und geopolitischen Sturm, den Donald Trump ausgelöst hat“, schreibt „El País“ aus Spanien. „Keiner seiner Vorgänger der vergangenen Jahrzehnte – möglicherweise nicht einmal Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung 1990 – stand vor einer vergleichbaren Aufgabe wie Friedrich Merz.“
„Nun drohen Trumps 20-prozentige Zölle auf alle EU-Exporte sämtliche Vorteile aus Merz‘ Ausgabenplan, der die Verteidigungsindustrie stärken und die alternde Infrastruktur des Landes verbessern soll, zunichtezumachen“, heißt es bei der britischen „Financial Times“ – noch vor der zeitweisen Aussetzung der Zölle durch Trump. „Die größte Volkswirtschaft der Eurozone, deren Bruttoinlandsprodukt zu etwa vier Prozent von Exporten in die USA abhängt, stagniert seit drei Jahren aufgrund höherer Energiekosten, einer geringeren Nachfrage nach deutschen Gütern in China und eines scharfen Wettbewerbs durch chinesische Unternehmen.“
„Zusammen mit der SPD-Führung unterzeichnete der Kanzler in spe einen 144-seitigen Koalitionsvertrag, der die Grundlage für die nächsten vier Jahre stürmischer Fahrt bilden wird, vor allem in der Außenpolitik“, berichtet die italienische „La Repubblica“. „Doch dieses Thema ist immer noch der große Abwesende bei den Gesprächen zwischen den beiden Parteien der ehemaligen ‚großen‘ Koalition, die kaum noch eine Mehrheit hat.“