Von Donnerstagabend bis zum Sonnenaufgang haben die Spitzen von CDU, CSU, SPD und Grünen zusammengesessen. Namentlich: CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, SPD-Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil und die beiden Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Am Freitagvormittag ging es weiter, doch da ging es nur noch um Details.
Die grundsätzliche Einigung steht und die Grünen werden nun in der zweiten Sondersitzung des alten Bundestags voraussichtlich den drei Grundgesetzänderungen zustimmen, die den Weg für eine nie da gewesene Schuldenaufnahme durch die wahrscheinlich kommende, schwarz-rote Bundesregierung freimachen. Die Stimmen der Grünen werden benötigt, um im Bundestag auf eine Zweidrittelmehrheit zu kommen, die jede Grundgesetzänderung braucht.
Darauf haben sich die Parteien geeinigt:
Verteidigung
Union und SPD wollten die Verteidigungsausgaben, die höher als ein Prozent des Bundeshaushalts sind, von der Schuldenbremse ausnehmen. Damit können die Regierungsfraktionen in spe theoretisch unbegrenzt Schulden machen für die Sicherheit Deutschlands. Das sei auch nötig, argumentieren sie: Angesichts der unberechenbaren US-Regierung unter Donald Trump und der unverändert aggressiven Expansionspolitik des russischen Machthabers Wladimir Putin wollen Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten möglichst schnell auch unabhängig von den USA abwehrbereit werden. Die EU-Kommission schlägt deshalb vor, künftig Rüstungsausgaben von den EU-Fiskalregeln auszunehmen.
Die Grünen erreichten, dass SPD und Union die von der Schuldenbremse ausgenommenen Verteidigungsausgaben nicht nur eng auf die Bundeswehr begrenzten. Das Geld soll auch verwendet werden können, um den Bevölkerungs- und Zivilschutz, die Cybersicherheit und die Geheimdienste auszubauen. Auch Direkthilfen für die Ukraine sind nun explizit mitgemeint mit Verteidigungsausgaben.
Ferner hat Bundeskanzler Olaf Scholz zugesagt, bisher zurückgehaltene drei Milliarden Euro für die Ukraine freizugeben, sobald die Grundgesetzänderungen beschlossen sind. Hierauf hatten Grüne und Union in den vergangenen Wochen gedrungen, während aus Scholz‘ Sicht die Finanzierungsfrage durch den Haushalt nicht ausreichend geklärt war.
Sondervermögen
Als „härtesten Brocken“ bezeichnete Unionsfraktionschef Merz vor den eigenen Abgeordneten die Gespräche über das geplante 500 Milliarden schwere Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur. Die Grünen hatten darauf gedrungen, dass dieses Sondervermögen nicht benutzt wird, um im Kernhaushalt Spielräume für etwaige schwarz-rote Wahlgeschenke zu schaffen. Diese Zusätzlichkeit soll sichergestellt werden, indem künftige Kernhaushalte mindestens die Investitionsquote des Jahres 2024 aufweisen müssen – diese lag nach Angaben des Bundesfinanzministeriums bei 12,4 Prozent. Gehen die Investitionen darüber hinaus, darf das Geld aus dem Sondervermögen genommen werden.
Das Kreditvolumen soll auf zwölf statt der ursprünglich geplanten zehn Jahre gestreckt werden. Daraus ergeben sich theoretische 41,7 Milliarden Euro zusätzlicher Kreditspielraum pro Jahr, allerdings nicht für den Bund allein: 100 Milliarden Euro sollen den Bundesländern für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen.
Klimaschutz
Zur Empörung der Grünen war von Klimaschutz nicht die Rede, als Union und SPD vor zehn Tagen ihr Schuldenprogramm der Öffentlichkeit vorgestellt hatten. Merz und Klingbeil versuchten schließlich auf die Grünen zuzugehen und boten vor der ersten Bundestagssondersitzung am Donnerstag an, 50 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Bundesregierung zu stecken. Eine durchmachte Nacht später liegt eine Verdoppelung vor: 100 Milliarden Euro sollen nun dem KTF vorbehalten sein. Damit können etwa der Ausbau der Energieinfrastruktur wie Übertragungsnetze finanziert werden und es steht auch weiter Geld für die Förderung des Heizungsumbaus zur Verfügung.
Zugleich erreichten die Grünen, dass die Kosten für die EEG-Umlage aus dem Kernhaushalt erbracht werden und nicht aus dem KTF. Das hätte dessen Volumen deutlich geschmälert: Mehr als 18 Milliarden Euro musste die Bundesregierung im vergangenen Jahr für den Umbau auf erneuerbare Energien aufwenden, weil die EEG-Umlage seit 2022 nicht mehr vom Endverbraucher bezahlt wird. Ferner vereinbarten die vier Parteien, das Ziel der deutschen Klimaneutralität im Jahr 2045 ins Grundgesetz aufzunehmen. Dieses war noch während des Bundestagswahlkampfes vonseiten der Union infrage gestellt worden.
Schuldenbremse
Aus Sicht der SPD erfreulich: Auf Drängen der Grünen wird der alte Bundestag auch über einen Entschließungsantrag abstimmen, der die Bundesregierung auffordert, eine Expertenkommission zur Reform der Schuldenbremse bis Ende 2025 einzusetzen. Diese Kommission hatten Union und SPD bereits in ihren Sondierungsgesprächen vereinbart. Im Nachgang ging die öffentliche Auslegung dieser Vereinbarung jedoch auseinander. Die SPD gab sich sicher, dass eine Reform komme. Stimmen aus CDU und CSU, die beide im Wahlkampf mit einem Festhalten an der Schuldenbremse geworben hatten, klangen da deutlich weniger festgelegt.
Die Grünen hatten in den vergangenen Tagen wiederholt deutlich gemacht, dass ihnen eine grundlegende Reform der Schuldenbremse lieber gewesen wäre, als diese um lauter Ausnahmen zu ergänzen. Das deckt sich mit der Haltung der SPD. Die nun geplante Reform aber wird der neue, am 23. Februar gewählte Bundestag beschließen. Dort braucht es für eine Zweidrittelmehrheit zusätzlich die Stimmen von Linksfraktion oder AfD.