Sonntag, 24.November 2024 | 19:55

DFB-Elf auf „Wusiala“ angewiesen: Kann der Plan mit dem Zauberduo überhaupt funktionieren?

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Lockerheit hat viele Seiten. Man kann sie irgendwann erreichen, so wie Toni Kroos, der wohl erfolgreichste deutsche Fußball-Spieler jemals. Schließlich hat er auf dem Weg zu seinen unzähligen Titeln schon alles erlebt. Deshalb mache ihn auf dem Platz praktisch nichts mehr nervös, erklärte der 34-Jährige zuletzt. Oder man hat Lockerheit einfach. Von sich aus, ganz natürlich. So wie Jamal Musiala und Florian Wirtz.

Die beiden 21-Jährigen verbindet eine Chemie, die sich kaum in Worte fassen lässt. Auf dem Platz sowieso, daneben auch. Im Klub haben sie nie zusammengespielt, erst in der Nationalelf haben sie zueinandergefunden. Damals, unter Bundestrainer „Jogi“, wie Musiala erzählt, habe es schon bei den ersten Trainings „zoom“ gemacht. Bis heute: Bevor sie antworten, klären sie per Augenkontakt, wer jetzt eigentlich etwas sagt. Und irgendwann, darüber machen sie schon Späße, würden sie gerne auch bei einem Klub spielen.

Beide versprühen vom Podium des DFB-Pressezentrums eine bemerkenswerte Leichtigkeit. Musiala erklärt, dass Wirtz ganz gut Tischtennis spielen kann, der wiederum erwidert, dass Musiala „ein guter Junge“ sei. Man merkt ihnen an, dass sie weitestgehend unbeschadet durch die turbulenten Krisenjahre der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kamen. Das Debakel in der Wüste von Katar 2022 verpasste Wirtz, er riss sich davor das Kreuzband. Musiala dagegen war bei der Weltmeisterschaft erst 19 Jahre alt. Er dribbelte und schlängelte sich zwar durch Abwehrreihen, traf aber das Tor nicht. Damals galt er weniger als enttäuschend, eher als tragisch. Schließlich war er das große Versprechen an die Zukunft.

Nur: Die Zukunft ist jetzt. Beide gehören zu den größten Talenten des Weltfußballs. Bei der Heim-Europameisterschaft geht es für sie darum, ihrem Ruf gerecht zu werden. Das Spiel des DFB-Teams ist von ihnen abhängig. Seit dem Kaderumbruch ist der Plan folgender: Hinter ihnen sorgt der erfahrene Kroos, dass sich alle wohlfühlen. Vorne zocken die Zauberer Musiala und Wirtz – und das auch zählbar: „Wir wollen nicht in Schönheit sterben“, sagt Musiala.

Doch genau das ist ein Problem, das die DFB-Elf zuletzt immer wieder verfolgte. In der EM-Generalprobe gegen die Ukraine schossen die Nagelsmänner insgesamt 27 Mal aufs Tor, der Ball landete aber nie im Gehäuse. Der Chancenwucher war einer der Gründe, weshalb die Nationalelf bei der WM in Katar schon in der Gruppenphase ausschied. Das soll sich diesmal nicht wiederholen.

Bundestrainer Julian Nagelsmann gibt ihnen dafür nicht alle Freiheiten. „Wir dürfen nicht machen, was wir wollen“, sagt Musiala. Es gehe darum, Chancen zu kreieren und Tore zu erzielen. Doch nicht nur das: „Wir wollen auch die Drecksarbeit machen“, erklärt Musiala weiter. Schon in den Vorbereitungsspielen konnte man das beobachten: Beide warfen sich in der Rückwärtsbewegung auffällig oft in Zweikämpfe.

Dabei sind die Voraussetzungen für Musiala und Wirtz nicht die besten: Beide kommen beide aus einer langen Saison. Der eine, Wirtz, hat allein für Bayer Leverkusen insgesamt 49 Pflichtspiele gemacht, dazu kamen noch die Reisen mit der Nationalelf. Der andere, Musiala, hat mit dem FC Bayern eine schwierige Saison hinter sich und musste sich zwischenzeitlich mit Spritzen und Tabletten fit halten und lief in den letzten Ligaspielen gar nicht mehr auf.

Gleichwohl: Die beiden Hochbegabten verfügen über Fähigkeiten, die sie für das deutsche Spiel unverzichtbar machen. Sie wissen einfach, was sie machen müssen. „Es geht nicht immer darum, die brillanteste Aktion zu machen, sondern die beste und klügste. Florian kann das“, beschrieb Bayer-Trainer Xabi Alonso in der „Süddeutschen Zeitung“ einmal Wirtz. Musialas schlangenartige Dribblings sind ohnehin mittlerweile berühmt. Wirtz spricht von Intuition, Musiala sagt, es fühle sich für ihn einfach natürlich an.

Und doch, das zeigte sich beim Test gegen die Ukraine, ihre Spielweise hat auch ihre Limits. In der Offensive spielte die DFB-Elf (wie wohl auch im Eröffnungsspiel am Freitag gegen Schottland) mit vier ähnlichen Spielertypen: Kai Havertz, İlkay Gündoğan und eben Musiala und Wirtz. Keiner von ihnen liebt die Außenlinie, sie alle fühlen sich eher in den Halbräumen rund um den Sechszehner am wohlsten. Das Offensivspiel war so schnell ausrechenbar: Flanken waren kein Mittel und das ukrainische Team hat es immer wieder geschafft, ein Bein, eine Hacke oder irgendein anderes Körperteil zwischen sich und das Tor zu bekommen.

Die Frage stellt sich: Kann es mit beiden Zauberern gleichzeitig auf dem Platz während der EM funktionieren? Oder muss Bundestrainer Nagelsmann in den sauren Apfel beißen und das Duo auseinanderreißen, weil es im Zentrum zu eng wird? Denn eigentlich sitzt auf der Bank jemand, der die Probleme (Tiefe und Tempo) lösen könnte: Bayern-Star Leroy Sané. Wenn es nicht läuft, könnte er außerdem für mehr Physis auf dem Rasen sorgen, denn körperlich ist er stärker als Wirtz und Musiala. Er laboriert jedoch mit einer Schambeinverletzung. Bislang ist jedoch unklar, wie fit er ist. Von seinen Läufen zur Grundlinie samt Flanken könnte etwa auch Niclas Füllkrug, so er dann mal auf dem Platz steht, profitieren und sie mit seinem starken Kopfballspiel verwerten.

Wirtz dagegen traut sich zu, die Probleme selbst zu lösen. „Ich glaube nicht, dass wir leicht auszurechnen sind“, sagt er. „Wir haben viele Ideen in unserem Spiel und schon viel trainiert, damit wir immer Lösungen parat haben, egal, wie der Gegner steht.“ Schließlich sind die beiden dafür nicht allein auf dem Platz. Es gibt ja noch Kapitän Gündoğan. „Er ist der erfahrene Spieler, der uns immer wieder kleine Tipps gibt, der für uns auch die Struktur hält“, erklärt Musiala. „Auch damit wir nicht zu viel denken müssen, bei manchen taktischen Sachen hält er auch unseren Rücken frei.“

Es stellt Nagelsmann vor ein Dilemma: Wirtz, Musiala, Gündoğan, Sané – einer muss weichen. Und das Zaubererduo braucht eben den Kapitän, um magisch sein zu können. Und um eben ganz locker zu bleiben.

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