Es ist nur ein Halbsatz und doch hat er eine große Wirkung. Bundestrainer Julian Nagelsmann sprach vor Beginn der DFB-Wochen mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Es geht in dem Interview eigentlich gerade um Joshua Kimmich, da zählt Nagelsmann auf, wen er für die Mittelfeldzentrale stattdessen einplant. „Auf der Sechs habe ich Pascal (Groß), Angelo (Stiller), Pavlo (Aleksandar Pavlović), wenn er fit ist, Rob (Andrich), Felix (Nmecha) und weitere Kandidaten“, sagte Nagelsmann.
Einen seiner Kandidaten, „Pavlo“, versieht der Bundestrainer mit einem vielsagenden Warnhinweis „Wenn er fit ist.“ Die Sache bei Aleksandar Pavlović ist, dass er das in jüngster Zeit eher selten war. In der aktuellen Saison fehlte er erst wegen eines Schlüsselbeinbruchs, jetzt wegen einer langwierigen Virusinfektion: Pfeiffersches Drüsenfieber, das hat so manchen Profi schon die Karriere gekostet – etwa Olaf Bodden in den 1990er Jahren.
So schlimm muss es für „Pavlo“ nicht kommen. Aber: All das kostet wieder wichtige Zeit, für ihn und die Nationalelf. Klar, das Fehlen von Florian Wirtz und Kai Havertz ist viel unmittelbarer und wird sich deutlich bemerkbarer machen. Aber der Ausfall Pavlovics ist vielleicht der bitterste des DFB-Teams, schließlich sollte er irgendwann in seinem Herzen wohnen und dort Pässe am Fließband spielen.
Der „Aleks von der U23“
Ein großes Turnier hat er schon verpasst. Die Heim-Europameisterschaft im vergangenen Sommer musste er auf den letzten Metern absagen, die immer wieder Probleme machenden Mandeln waren mal wieder entzündet. Pavlovic saß daheim vor dem Fernseher, als seine Kollegen im Viertelfinale gegen den späteren Europameister Spanien ausschieden.
Eigentlich, so ist der Plan gewesen, hätte Pavlovic diese DFB-Reise mit antreten sollen. Bei den letzten Vorbereitungsspielen gegen Griechenland und die Ukraine war er schon dabei. Der damals 19-Jährige hätte in den Wochen danach schon einmal den „Vibe“ im Camp in Herzogenaurach geatmet, wäre Teil der Gruppe geworden. Stattdessen aber wurde Emre Can nachnominiert. Der Dortmunder stand kurz nach dem Champions-League-Finale dann auch im EM-Viertelfinale auf dem Feld.
Warum Pavlovic schon als Teenager zum DFB-Team mitkommen sollte, hatte einen einfachen Grund. Bis zum vergangenen Sommer hat er einen kometenhaften Aufstieg vollzogen, mit dem niemand so richtig gerechnet hatte. Damals im Sommer 2023 leitete noch Thomas Tuchel die taktischen Geschicke beim FC Bayern. Auch damals, wie heute, ging es um Kimmich, aber aus einem anderen Grund: Tuchel wünschte sich öffentlich eine „Holding Six“, also jemanden, der vor der Abwehr abräumt. Dafür sollten seine Chefs kurz vor Schluss auf dem Transfermarkt tätig werden. Und „wenn nicht, dann machen wir es mit Aleks von unserer U23“, sagte Tuchel damals.
Früher Balljunge, heute Star
Es kam anders: Die Münchner waren sich zwar mit dem Portugiesen João Palhinha schon einig. Doch der Tuchel-Wunschspieler wechselte erst, als der Trainer, der ihn ursprünglich wollte, beim FC Bayern wieder verschwunden war. Der FC Fulham brauchte mehr Zeit, um einen adäquaten Nachfolger zu finden. Palhinha kam erst im Sommer 2024. Und im Bayern-Mittelfeld wirkte ebenjener „Aleks von unserer U23“. Pavlovic machte einige Spiele im defensiven Mittelfeld, sein Potenzial wurde schnell sichtbar.
Aus dem Nichts war er zur Stammkraft beim FC Bayern gereift, eine der großen Versprechungen für die Zukunft. Man konnte ihm dabei zusehen, wie er sich auf einer der wichtigsten Positionen auf dem Feld immer mehr zutraute – von Sicherheitspässen zu mehr Verantwortung. Er soll(te) eines der prägenden Gesichter werden. Solche Geschichten hatten sie in München schon länger nicht mehr: Der Aleks war früher Balljunge, jetzt verteilt er die Bälle auf dem Spielfeld. Das war die Idee.
Ob sie das noch immer ist? Das ist bei Pavlovic die Frage. Denn allzu groß ist die Stichprobe bei ihm nicht: Sein Bundesliga-Debüt gab er im Oktober 2023, seither hat er noch keine ganze Spielzeit ohne größere Pausen absolviert. Man kann es schlicht einfach noch nicht beantworten, ob er irgendwann Toni Kroos vergessen machen kann oder nicht. Viele Veranlagungen sind da, aber eben auch viele Verletzungspausen, für die er selten etwas kann.
Und wer macht es sonst?
Nun steht bald wieder ein großes Turnier vor der Tür: die Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Und auch diesmal spielt Pavlovic eine Rolle in den Planungen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Doch anderthalb Jahre vor Turnierbeginn muss er sich wieder abmelden, zunächst für die beiden Spiele im Viertelfinale der Nations League gegen Italien – in Mailand und in Dortmund. „Wenn der Rhythmus so bleibt, wie er jetzt ist, dass er maximal 50 Prozent spielt, wird es eng“, sagte Nagelsmann in der FAZ. Er erwarte 70 bis 80 Prozent der Spiele.
Und deshalb stellt sich für den Bundestrainer die Frage: Wer soll es denn dann machen? Die beiden Abgänge von Kroos und İlkay Gündoğan hinterlassen große Lücken, in der Offensive und vor der Abwehr. Darauf angesprochen sagte der Bundestrainer der FAZ, dass Kimmich jemand sei, der über ähnliche Qualitäten verfügt. Nur: Kimmich ist als Rechtsverteidiger oft weit entfernt von den Musialas, Wirtzens und Co., die alle vorne wirbeln. Erste Antworten gibt es, wenn Nagelsmann um 11 Uhr den Kader verkündet.
Bis dahin kursieren allerhand Namen für die berühmte Doppelsechs. Angelo Stiller wäre ein Kandidat, eben gemeinsam mit „Pavlo“, von der „Altersstruktur eigentlich perfekt für die WM“, sagte Nagelsmann. Auch die unterschiedlichen Spielweisen passen zueinander. Pascal Groß spielt mit Borussia Dortmund nicht seine beste Saison, bei der WM ist der 33-Jährige auch möglicherweise etwas zu alt. Robert Andrich hängt ein wenig im Formtief und müsste sich neu aufdrängen. Felix Nmecha wird wohl wieder zur Nationalelf zurückkehren, ist aber weit entfernt davon, Fixpunkt zu werden. Für den 19-jährigen Tom Bischof, der im Sommer zum FC Bayern wechselt, wird das Turnier möglicherweise zu früh kommen.
Und so engt sich der Kreis der geeigneten Kandidaten ein. Kommt vielleicht sogar Leon Goretzka zurück? Das erscheint doch arg unwahrscheinlich. Bis zur Weltmeisterschaft 2026 ist zwar noch viel Zeit, aber nicht so viel, um alle Varianten durchzuspielen. Schließlich sind die Kalender der DFB-Stars proppenvoll. „Das ist der kürzeste Lehrgang, den wir haben, da können wir gar nicht viel verändern“, sagte Nagelsmann über die Italienspiele. „Wir können in zwei Einheiten den Plan gegen die Italiener trainieren, so 20 Minuten jeweils.“ Alles, was Nagelsmann vorhat, muss funktionieren.