Mittwoch, 27.November 2024 | 11:37

Bizarres Interview: Tuchel irritiert nach Bayern-Sieg

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Wenn Thomas Tuchel an diesem Samstagabend glücklich war, dann konnte der Trainer des FC Bayern das extrem gut verbergen. Schon vor dem Anpfiff des Topspiels bei Borussia Dortmund trat er äußerst gereizt zum Interview bei Sky an, wollte Fragen nicht oder nur kurz beantworten. Während der Partie, die auf beeindruckende Weise mit 4:0 (2:0) gewonnen wurde, schimpfte er wie ein Rohrspatz, sah von Schiedsrichter Deniz Aytekin die Gelbe Karte und beruhigte sich nur widerwillig. Und auch als seine prächtig aufspielende Mannschaft den apathischen BVB mal wieder blitzvernascht hatte, kam Tuchel nicht runter. Ganz im Gegenteil. Er drehte im Interview bei Sky und bei der Pressekonferenz völlig frei.

„Trotz Zerwürfnis in der Mannschaft mit dem Trainer? Trotz keiner Weiterentwicklung? So eine Überraschung“, antwortete Tuchel in beißender Ironie gleich auf die erste Frage. Es war nur das Intro für einen denkwürdigen Auftritt, der im völligen Widerspruch zu seinen eigenen Worten vom Freitag stand. Da hatte er zum ersten Mal nach dem Pokal-Debakel bei Drittligist 1. FC Saarbrücken vom Mittwochabend gesprochen. Seine Mannschaft hatte erst fürchterlich schlecht gespielt, dann ordentlich, aber das Tor nicht getroffen und war schließlich auf groteske Weise gegen die völlig ausgepumpten Saarländer in der 96. Minute kollabiert.

„Es ist schwierig, kritische Stimmen nun zu widerlegen. Das müssen wir aushalten, vorbeigehen lassen und zusammenstehen, weitermachen.“ Er wolle das Geschriebene nicht lesen, „nicht das Lob und schon gar nicht die Kritik, weil das immer ein bisschen was mit dir macht“. Kritik, von welcher Seite auch immer, sei legitim. Und jetzt das. Jetzt diese Abrechnung. Die eigentlich doch ignorierte Kritik hatte offenbar etwas mit Tuchel gemacht.

Angesprochen von Sky-Moderator Sebastian Hellmann auf den offensichtlichen Ärger und die Ironie sagte der Bayern-Trainer: „Ja, und? Das ist nicht erlaubt? Das mögen Sie nicht?“ Und weiter ging es mit Wut und ohne jede Zurückhaltung: „Lothar weiß es bestimmt, und wenn der es nicht weiß, weiß es der Didi.“ Hamann war nicht vor Ort, dafür aber Matthäus. Und den ging Tuchel weiter an. „Dann mach du das heute auch, ihr haltet euch ja sonst auch nicht zurück. Lothar kann das machen, sonst kann Didi das machen.“ Auf eine weitere Unterredung, ein Austausch oder eine Aussprache mit Matthäus ließ sich der 50-Jährige gar nicht ein, er wütete: „Ich möchte gar nicht in die Diskussion, wenn ich durch bin, möchte ich gehen, das ist mir too much.“ Trotz seiner Zeit in Paris warf Tuchel keine französischen Brocken ein. Immerhin.

Er höre von schlechten Phasen, „dabei haben wir zwei Liga-Unentschieden und führen unsere Champions-League-Gruppe an. Jetzt haben wir 4:0 gewonnen, jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen – viel Spaß dabei!“ Beim Abgang giftete er: „Wir haben vieles gehört, was bei uns alles nicht stimmt – so schlimm kann es ja nicht gewesen sein.“ Das mit den Missstimmungen übrigens hatten nicht die Sky-Experten aufgebracht, sondern ein anderes Medium. „Ihr dürft das benennen, wie ihr möchtet. Da ist gar keiner sauer“, so Tuchel.“

Tatsächlich hat der Disput zwischen Tuchel und den beiden meinungsstarken Experten eine lange Vorgeschichte. Sowohl Matthäus, aber allen voran Hamann, hatten immer wieder kritisiert, dass sich die Münchner in dieser Saison nicht weiterentwickeln würden. Sie vermissten eine klare Spielidee, eine erkennbare Trainer-Handschrift, sie vermissten Kontrolle und Dominanz. Sie sahen viele Siege des FC Bayern, fast alle gebaut auf individueller Qualität eines Leroy Sané, eines Harry Kane, eines Jamal Musiala und nicht auf einem funktionierenden Kollektiv.

Dass das an diesem Samstagabend im alten Westfalenstadion in Dortmund widerlegt worden war, macht den Auftritt von Tuchel noch bizarrer. Und so werden der furiose Sieg der Münchner, die phänomenale Torshow von Harry Kane, er erzielte seine Bundesligatore 13 bis 15, und die nächste Panikattacke des BVB im Klassiker-Duell klappernder Riese gegen zupackender Riese, vom Ausfall des Trainers überschattet, der mit Art und Weise, wie seine Mannschaft gespielt hatte, indes jede aufkommende Debatte um seinen Stuhl beendete. Die Frage nach dem „Warum“ wird das übergroße Thema der nächsten Tage, der nächsten Expertenrunden werden.

Dabei hätte dieses Spiel eine andere Stoßrichtung viel mehr verdient gehabt: die bemerkenswerte Auferstehung der Münchner, die den völlig desillusionierten mit ihrem Tempofußball gnadenlos überrannten. Bereits nach neun Minuten hatte es 2:0 gestanden: Dayot Upamecano, dessen Einsatz ebenso wie der von Leon Goretzka am seidenen Faden gehangen hatte, traf per Kopf nach einer Ecke (4.). Danach spielten die Bayern den perfekten Konter. Leroy Sané leitete per Hacke ein, Goretzka spielte brillant auf Sané zurück, der legte quer für Kane und schon war dieser Klassiker vorentschieden. Die Dortmunder mühten sich, prallten aber den souveränen Gästen knallhart ab.

Die zeigten das wohl beste Spiel in der Ära Tuchel und feierten später als Kollektiv vor den Fans. Die sangen: „Deutscher Meister wird nur der FCB“, an diesem Abend sammelte die Mannschaft Argumente dafür. Der Rückstand auf Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen wurde zumindest nicht größer, beträgt immer noch zwei Punkte. Und Tuchel befand: „Wir wollten es uns selbst zeigen. Wir spielen für unsere eigenen Maßstäbe und eigenes Level, was wir erreichen wollen. Das war top heute. Ich freue mich für die Mannschaft, dass sie sich so beweisen konnte.“ Er war offenbar doch glücklich.

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