Donnerstag, 19.September 2024 | 18:36

Ärzte und Apotheker warnen vor “Gesundheitskollaps”

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Mediziner und Apotheker in Mecklenburg-Vorpommern sorgen sich um die ambulante Gesundheitsversorgung. Nach Einschätzung von Verbandsvertretern läuft der Nordosten auf einen Gesundheitskollaps zu. Zunehmende Bürokratie, Fachkräftemangel und ungeeignete politische Rahmenbedingungen erschwerten die Versorgung in immer größerem Maße.

“Das ist jetzt der Zeitpunkt, wo wir einfach aufwachen müssen”, sagte Angelika von Schütz, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Mecklenburg-Vorpommern, am Dienstag in Schwerin. Sie kündigte für Mittwoch eine Protestveranstaltung in der Landeshauptstadt an. Unter dem Motto “fünf vor zwölf” wollten Mediziner und Apotheker zu Beginn der Landtagssitzung auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Etwa 600 Teilnehmer hätten sich dazu angemeldet, sagte von Schütz.

Für besonders viel Frust sorgt nach Schilderungen der Verbandsvertreter die “stumpfsinnige Bürokratie”. Bis zu 60 Arbeitstage im Jahr gingen in einer Arztpraxis durchschnittlich für die Bewältigung von Formularen drauf, sagte von Schütz. Die verschiedenen Krankenkassen etwa hätten ihre Formulare bislang nicht vereinheitlicht. Teils müssten Daten sogar noch händisch eingetragen werden, da die Dokumente mit den EDV-Systemen in den Praxen nicht kompatibel seien.

Doch auch die Digitalisierung bringt nach Einschätzung der Verbandsvorsitzenden bislang keine Erleichterung – im Gegenteil. In der Praxis seien die Produkte oft nicht tauglich. Ärzte sollten an der Entwicklung solcher Anwendungen beteiligt werden, forderte von Schütz. Zudem dürften Praxen, die nicht an digitale Systeme angeschlossen sind, nicht weiter durch Honorarabzug sanktioniert werden.

Ein aktuell großes Problem für die Apotheken sei die immer länger werdende Liste nicht lieferbarer Medikamente, sagte Axel Pudimat, Vorsitzender des Apothekerverbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Vergütet werde der Mehraufwand für die Beschaffung mit 50 Cent pro Fall. “Das ist keine Vergütung, das ist eine Ohrfeige. Das ist Geringschätzung für das Management von Engpässen”, kritisierte Pudimat.

Der Apothekerverband hat für Mittwoch zu Apothekenschließungen in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein aufgerufen. Ein Notdienst stehe zur Verfügung. Praxisschließungen seien hingegen für den Protesttag nicht geplant, sagte von Schütz. Mittwoch sei ohnehin ein kurzer Tag in den meisten Praxen. Sie wies allerdings darauf hin, dass die Demonstration in Schwerin “wahrscheinlich nur der Beginn weiterer Maßnahmen” sei.

Zunehmende finanzielle Probleme entstünden den Praxen durch massive Kostensteigerungen, die durch die vom Gesetzgeber gedeckelten Vergütungsanhebungen nicht ausgeglichen würden, berichtete Jens Palluch, stellvertretender Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Das gehe zu Lasten der Löhne für das Personal. Viele Mitarbeiter wanderten mittlerweile in besser bezahlte Branchen ab, Praxen fänden keine Nachfolger. “Das wird gerade in unserem überwiegend ländlich geprägten Flächenland zunehmend mehr ins Gewicht fallen als in anderen Regionen”, betonte Palluch.

Vor Schließungen warnte auch der Apothekerverbandsvorsitzende Pudimat. “Das Sterben der Apotheken geht gerade erst so richtig los”, sagte er. Deutschlandweit stünden in diesem Jahr 600 Apotheken vor dem Aus.

Die Verbände forderten die Landesregierung und Bundestagsabgeordneten aus dem Land auf, sich stärker für die Vertreter der Gesundheitsberufe einzusetzen. “Wir erwarten ganz einfach, dass man uns miteinbezieht – gar nicht unbedingt als Entscheider, aber als Berater”, sagte von Schütz. Weder auf Bundes- noch auf Landesebene gebe es ein offenes Ohr für drohende Versorgungsdefizite, beklagte Palluch.

Die Verbände machten zurecht auf die zunehmend schwierige Lage der Gesundheitsberufe aufmerksam, erklärte Torsten Koplin, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag. “Zwei wesentliche Ursachen für die Misere sind aus meiner Sicht die strikte Marktorientierung auch im ambulanten Bereich und das Sparen am falschen Ende. Hinzu kommen eine nicht bedarfsgerechte Versorgungsplanung und falsche Anreize”, sagte er. Die rot-rote Landesregierung arbeite an Verbesserungen der Rahmenbedingungen. Schon im Januar hatte sie angekündigt, die Kommunen unter anderem bei der Ansiedlung von Ärzten im ländlichen Raum zu unterstützen.

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