Kindermediziner warnen vor einer weiteren massiven Verschärfung der Infektionslage bei Kindern: „Der Höhepunkt der aktuellen Welle von Atemwegsinfektionen bei Kindern ist noch längst nicht erreicht.
Die Lage in Praxen und Kliniken wird in den kommenden Wochen noch schlimmer werden“, sagte Florian Hoffmann, Kindermediziner und Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir werden nicht mehr alle Kinder ausreichend behandeln können.“
Überlastete Kinderkliniken suchten jetzt schon in einem Radius von mehr als hundert Kilometern nach freien Betten in anderen Städten, so Hoffmann. Manche Kinder blieben bereits jetzt zwei Tage in der Notaufnahme, weil es keine freien Betten gebe. Viele Kinderkliniken würden alle Eingriffe verschieben, die nicht akut lebensnotwendig seien, etwa Magen-Darm-Spiegelungen. „Wir haben aber auch schon Fälle gehabt, wo wir einem Kind, dem wir Lungenmetastasen entnehmen wollten, absagen mussten, weil es kein freies Bett gab. Wir machen nur noch, was unmittelbar lebenserhaltend ist.“
Auch der Bundesverband der Kinder und Jugendärzte (BVKJ) rechnet mit einer weiteren Verschärfung der Lage: „Die aktuelle Infektionswelle wird noch massiv ansteigen. Es fängt jetzt gerade erst richtig an, der Scheitelpunkt ist noch längst nicht erreicht“, sagte BVKJ-Präsident Thomas Fischbach den Funke-Zeitungen. Das RS-Virus und die Grippe hätten dieses Jahr viel eher angefangen als in früheren Jahren. „Wir werden von beiden Seiten in die Zange genommen. Ich befürchte, dass die Lage in den Kinderarztpraxen noch schwieriger wird.“
DIVI-Generalsekretär Hoffmann rief die niedergelassenen Kinderärzte dazu auf, die Kliniken stärker zu entlasten. „Um alle akut kranken Kinder versorgen zu können, müssen die Praxen jetzt temporär Behandlungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen verschieben oder im Notfall auch die Sprechzeiten verlängern.“ Nur so werde man allen Kindern die bestmögliche Versorgungsqualität zukommen lassen können.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rechnet mit einer weiter steigenden Zahl an Atemwegserkrankungen bei Kindern in den kommenden Tagen. „Wir müssen damit rechnen, dass die RSV-Welle noch einige Tage ansteigt“, sagte DKG-Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „In Frankreich wurde der Höhepunkt gerade überschritten, und wir sind rund 10 Tage hinterher. Wir hoffen, dass wir im Laufe der kommenden Woche den Höhepunkt überschritten haben.“
Besonders aus Ballungszentren gibt es seit Tagen Meldungen über Überlastungen der Kinderstationen und Erreichen der Kapazitätsgrenzen in Kinderkliniken. Die Personallage sei „angespannt“, sagte Gaß. „Wir haben noch immer deutlich höhere Krankenstände als in normalen Zeiten.“ Als Grund führt der Vorstandsvorsitzende der Krankenhausgesellschaft die beginnende Grippezeit und die coronabedingte Isolation und Quarantänepflicht an. „Das führt wiederum dazu, dass Intensivbetten auch im Kinderbereich nicht betreibbar sind.“
Zwar gebe es RSV-Wellen jedes Jahr, so Gaß. „Dieses Jahr ist die Welle aber besonders stark“, sagte er. „Es gibt wahrscheinlich eine Art Nachholeffekt, denn in den vergangenen Jahren haben Kinder durch Corona-Maßnahmen wie Kita-Schließungen weniger Kontakt mit Viren gehabt“, sagt Gaß dem RND.