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Bundestag bejaht Schuldenreform: Ohne diese goldenen Regeln verpufft Merz‘ Billionenwende

Mit ihrem Deal zur Schulden-Reform haben Union, SPD und Grüne den Weg freigemacht für nichts weniger als eine Zeitenwende der deutschen Staatsfinanzen. Drei Jahre nach Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine und nur knapp zwei Monate nach Donald Trumps Amtsantritt in den USA versucht die sich formierende schwarz-rote Koalition unter Friedrich Merz den Befreiungsschlag gegen die sich immer mehr zuspitzende sicherheits- und wirtschaftspolitische Krise Deutschlands.

500 Milliarden Euro neue Schulden will die Regierung Merz über ein Sondervermögen für marode Infrastruktur und Klimaschutz über 12 Jahre mobilisieren. Es darf allerdings nur angezapft werden, wenn schon im regulären Haushalt mindestens 10 Prozent der Ausgaben in Investitionen fließen. Zudem soll es einen Blankoscheck für die Ausgaben für Verteidigung, Nachrichtendienste, Zivilschutz, Cyberangriffe und die Ukraine-Hilfen von mehr als 1 Prozent der Wirtschaftsleistung geben, also jedem Euro oberhalb von rund 44 Milliarden für die genannten Bereiche im regulären Budget.

Die Finanzagentur Bloomberg nannte das Finanzpaket schon am Tag seiner Verkündung „Deutschlands Gamechanger“, die Deutsche Bank „einen der historischsten Paradigmenwechsel der deutschen Nachkriegsgeschichte“. Sowohl die Geschwindigkeit als auch die Größenordnung der angepeilten Ausgabenexplosion „erinnern an die deutsche Wiedervereinigung“.

Doch anders als vor 35 Jahren ist der Auslöser diesmal kein Grund zur Freude. Sondern ein bedrohlicher Mix aus Wirtschaftskrise, dem Ende der Turbo-Globalisierung, der Abkehr der USA von der westlichen Nachkriegsordnung und der Gefahr eines großen Kriegs durch Russlands brutale Aggression in Europa. Aber auch wenn außergewöhnliche Zeiten außergewöhnliche Mittel erfordern: Damit die Billionen-Wende nicht zum Finanzdesaster wird, wäre Deutschland gut beraten, die folgenden Prinzipien zu beachten.

Kein Strohfeuer entfachen

Oberstes Ziel des Schuldenschubs ist es, Deutschlands äußere Sicherheit wiederherzustellen und das Land aus der Flaute zu bringen. Dazu muss das Geld möglichst wachstumserzeugend und mit nachhaltiger Wirkung investiert werden. Das bedeutet: Die Regierung Merz braucht einen Generalplan zur Sanierung und zum Umbau Deutschlands, der weit über Brücken, Straßen und diese Legislaturperiode hinausreicht. Die deutsche Industrie braucht nicht bloß einmalige Milliardenaufträge, sondern langfristige Planungssicherheit über Jahre und Jahrzehnte, damit sie dauerhaft neue Fabriken baut und im großen Stil neue Jobs schafft, und die Schulden-Explosion nicht bloß ein Strohfeuer entfacht.

Der Sondertopf für Infrastruktur und Klimaschutz muss nicht nur einen Konjunkturimpuls, sondern auch einen Innovations- und Transformationsschub auslösen, der der wankenden deutschen Wirtschaft eine neue Geschäftsgrundlage gibt. Weil Russlands Machthaber Wladimir Putin Deutschlands Sicherheit akut bedroht, haben Verteidigungsausgaben zunächst Priorität. Später muss aber eine ausgewogene Balance zwischen militärischen und zivilen Ausgaben gefunden werden. Denn Investitionen in Fabriken und Software erzeugen viel mehr Wachstum als der Bau von Panzern und Kampfjets, weil sie einen größeren Multiplikatoreffekt haben.

Dem Konsum-Rausch widerstehen

Dafür muss sich Schwarz-Rot einigen, in was genau überhaupt investiert wird. Marode Brücken, kaputte Straßen und knirschende Schienen scheinen unstrittig. Aber was sonst noch zur Infrastruktur zählt, könnte zur Gretchenfrage, wenn nicht zur Sollbruchstelle der Koalition werden. Auch bei der Frage, was genau die schwammigen Begriffe Investitionen und Sicherheit beinhalten, drohen künftig politische Verrenkungen. Denn durch die Verlagerung von Ausgaben in den Infrastruktur-Sondertopf (wenn bereits im regulären Budget 10 Prozent investiert werden) oder ihre mögliche Anrechnung beim Blankoscheck für Sicherheit wird reichlich Geld im Haushalt frei, das man für allerlei Wohltaten und Wahlversprechen nutzen kann.

Friedrich Merz verspricht zwar, man werde „nicht in einen Konsumrausch einsteigen“. Doch die geplanten Steuergeschenke der Sondierer für die Gastronomie, Pendler und Agrardieselsubventionen zeigen schon jetzt, dass die Gefahr real ist. Die Politik muss der Versuchung auch auf der Strecke widerstehen. Und das Sondervermögen zum echten Strukturfonds machen, der mit zusätzlichen Investitionen Rendite erzeugt. Und nicht zum Verschiebebahnhof, der bloß mehr Konsum auf Pump ermöglicht.

Die Preise im Zaum halten

Zudem birgt die Zeitenwende der Staatsfinanzen massive Inflationsgefahr. Denn die geplante Ausgabenwelle trifft auf kurzfristig starre Produktionskapazitäten, Engpässe und Fachkräftemangel, vor allem in der Rüstungsindustrie. Das birgt die Gefahr, dass Rüstungs- und Baukonzerne einfach nur ihre Preise erhöhen, um auf Kosten der Allgemeinheit abzusahnen – und Steuermilliarden wirkungslos in den Taschen ihrer Aktionäre versickern.

Die Regierung Merz muss ein Kunststück vollbringen: einerseits möglichst schnell Ergebnisse liefern, weil die Zeit drängt, aber andererseits die Investitionen so behutsam gestalten, dass sie nicht die Preise treiben. Statt auf einen Schlag muss sie das Geld langfristig Stück für Stück ausgeben, damit die Wirtschaft hinterherkommt und neue Kapazitäten schafft. Und die Regierung muss sich trauen, nicht nur zu bestellen, sondern auch zu regulieren: übermäßige Gewinne abzuschöpfen und Unternehmen notfalls zu verstaatlichen. So hat man es bereits in anderen Notlagen gemacht – in der Gas-Krise nach Putins Ukraine-Invasion mit Stromkonzernen oder während der Finanz- und Eurokrise mit Banken.

Nicht nur finanzieren, sondern reformieren

Für nachhaltigen Aufschwung braucht es viel mehr als nur Geld. Die Experten sind sich einig: Deutschland ist zu bürokratisch, zu träge und so schwach digitalisiert wie manches Entwicklungsland. Die Verlockung ist groß, diese Strukturprobleme einfach mit Geld zuzuschütten. Dabei sind nun der finanzielle Spielraum und das politische Klima da, um unnötige Bürokratie dauerhaft abzubauen, die Verwaltung zu reformieren und vor allem die Digitalisierung voranzutreiben.

Davon ist allerdings weder in dem historischen Finanzpaket noch in den bisherigen Sondierungsergebnissen viel zu sehen. Immer noch hat gerade mal jeder zehnte deutsche Haushalt einen Glasfaseranschluss – der drittletzte Platz unter allen OECD-Ländern. Obwohl kaum eine andere Zukunftsinvestition langfristig mehr Wachstum erzeugen dürfte.

Notfalls den Stecker ziehen

Die neue Koalition hat sich einen schwindelerregenden Finanzrahmen gesetzt. Für Sicherheitsausgaben soll es faktisch gar keine Grenze nach oben geben – „whatever it takes“ („alles, was nötig ist“) hat Friedrich Merz als Marschroute vorgegeben. Dabei weiß jeder: Jeder Haushalt hat Grenzen, auch der des deutschen Staates. Mit seiner glänzenden Schuldenbilanz steht Deutschland zwar im internationalen Vergleich hervorragend da und kann sich die Billionen-Wende leisten. Die meisten Ökonomen gehen davon aus, dass trotz neuer Schulden von einer Billion Euro die Schuldenquote bis Ende des Jahrzehnts nur auf knapp über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen wird.

Doch alles hängt davon ab, ob der Plan aufgeht und Deutschland mit der historischen Finanzwende genug Wachstum erzeugen kann, damit die Schuldenlast tragfähig bleibt. So unvermeidlich der Paradigmenwechsel momentan erscheint: Die Koalition muss flexibel genug bleiben, den Pfad noch einmal anzupassen, falls die Wirklichkeit dem Plan einen Strich durch die Rechnung macht.

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