Umarmungen hier, ein tröstendes Wort da: Die alte und die neue SPD-Fraktion hat im Bundestag Wahlnachlese betrieben und ihre ausgeschiedenen Abgeordneten verabschiedet.
Zwei Tag nach ihrer historischen Niederlage hätte es viel Redebedarf gegeben zum Zustand der Partei und der Kampagne mit dem nun abgewählten Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch der Blick richtete sich in der Debatte hinter verschlossenen Türen dem Vernehmen nach auch nach vorne. Die Sozialdemokraten haben keine Zeit zum ausgiebigen Wundenlecken: Merz is calling. Die nächste Regierungsbeteiligung ruft. Mangels alternativer Mehrheiten muss sich die SPD schnell berappeln und sich für komplizierte Koalitionsverhandlungen mit der SPD wappnen.
Schritt eins hierzu wurde schon am Sonntagabend entschieden: Parteichef Lars Klingbeil übernimmt den Fraktionsvorsitz von Rolf Mützenich. Der äußerte sich vor der Fraktionssitzung zum letzten Mal in alter Funktion vor der Presse. Die „deutliche Niederlage“ seiner SPD sei auch für ihn „persönlich ein tiefer Einschnitt“. Mützenich kennt die Namen und Gesichter der Dutzenden Abgeordneten, die seiner Fraktion nun nicht mehr angehören. Die sich vergeblich aufgerieben haben in den vergangenen Wochen mit einem SPD-Spitzenkandidaten Scholz im Rücken, der mehr Ballast als hilfreich war. Und die auch mit der SPD-Wahlkampfkampagne nicht glücklich waren. Auch das brach in die Aussprache durch, wie im Bundestag zu hören war.
Das Sondierungsteam nimmt Formen an
Frust auf sich gezogen hat in dieser Hinsicht auch Parteichef Klingbeil. Er als maßgeblich Verantwortlicher für Programm, Kampagne und dem Festhalten an Scholz statt Boris Pistorius als Kanzlerkandidat hat noch am Wahlabend einen „Generationenwechsel“ und eine personelle Erneuerung der SPD angekündigt. Kurz darauf wurde bekannt, dass Klingbeil zusätzlich den Fraktionsvorsitz übernehmen will und Mützenich draußen ist. Der untersützte diese Entscheidung am Dienstag ausdrücklich: Er erwarte, dass Klingbeil die Partei „mit klarer Stärke, mit klarer Autorität, mit klarer Überzeugung“ in die Gespräche mit der Union über eine Regierungsbildung führt.
Am Mittwoch stimmt die neue SPD-Fraktion über den Wahlvorschlag ab. Klingbeil soll ein starkes Vorum kriegen, damit er die SPD mit ganzer Kraft anführen kann in den anstehenden Gesprächen mit der Union. Das SPD-Team hierfür soll sich in dieser Woche sortieren. Auch wenn CDU-Chef Friedrich Merz Klingbeils Co-Chefin bislang geflissentlich ignoriert und die erste Kontaktaufnahme nach der Wahl an Klingbeil ging, wird auch Esken für die SPD verhandeln. Die SPD wird die intern nicht unumstrittene Parteichefin nicht abservieren, während die Springer-Medien sie als „Klette“ titulieren und die Union in Macho-Manier über sie hinweg geht.
Eher im Gegenteil: Um dem Männertrupp von CDU und CSU etwa entgegenzusetzen, dürften neben Esken weitere Frauen im Sondierungsteam dabei sein. Denkbar wäre etwa die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Auch der Name Bärbel Bas fällt in diesen Tagen auffallend oft. Die bisherige Bundestagspräsidenten hat sich in ihrer Amtszeit hohes Ansehen erworben, nicht nur in der SPD. Zudem dürfte Verteidigungsminister Boris Pistorius für die SPD mitreden. Bleibt Klingbeil tatsächlich über die Regierungsbildung hinaus Fraktionschef, ist der bei Wählern außerordentlich beliebte Pistorius gesetzt für einen prominenten Platz am künftigen Kabinettstisch.
Keine Annäherung, im Gegenteil
In historisch schlechter Lage für die SPD wirken die anstehenden Koalitionsgespräche als einigendes Moment: Parteilinke und Jusos rügten zwar Klingbeils Vorpreschen in der Personalfrage. Inhaltlich gehen sie aber mit. Allen ist klar, dass in dieser Lage kein Raum ist für Selbstmitleid und Nachtreten. Klingbeil winkt am Mittwoch ein starkes, mindestens aber solides Wahlergebnis. Dann ist er erster Preistreiber der SPD: Den Ball für eine gelingende Annäherung zwischen Union und SPD sehen die Sozialdemokraten vollständig bei Merz.
Und der hat nach sozialdemokratischer Lesart noch nichts für eine Annäherung unternommen. Der plötzliche Ideenreichtum aus der Union zum Thema Schuldenbremsenreform und Ausweitung der Schuldenbremse irritiert die SPD. Hatte nicht Merz den gesamten Wahlkampf über gesagt, über die Schuldenbreme sei als letztes zu reden und genug Geld vorhanden im Haushalt, wenn man nur wolle? Genauso irritieren etwaige öffentlich genannte Zeitrahmen, etwa wenn in der Union von einer Regierungsbildung bis Ostern die Rede ist. „Ja, wir tragen Verantwortung, aber wir werden uns zu nichts drängen lassen, was wir nicht verantworten können“, sagte Mützenich an Tag zwei nach der Bundestagswahl.
Tatsächlich wird es einen Zeitpunkt geben, an dem auch die SPD unter Zugzwang steht, zu einer Regierungsfindung beizutragen. Zu groß ist die Krisenlage in der Welt, als dass sich Deutschland längere Zeit selbst aus dem Spiel nehmen könnte. Doch so weit ist es noch nicht. Die Gräben sind eher tiefer als flacher geworden zwischen scheidender und kommender Kanzlerpartei. Bevor sich die SPD aufs Parkett führen lässt, will die Partei erstmal zum Tanzen aufgefordert werden – in aller Höflichkeit und Freundlichkeit. Der in puncto Umgangsformen konservative Sauerländer Merz sollte das eigentlich können und auch besser wissen.