Nach sinkenden Umfragewerten und einem drohenden Nichteinzug in den Bundestag hat das Bündnis Sahra Wagenknecht nun auch mit dem Austritt einiger teils ranghoher Mitglieder in Bayern zu kämpfen. Das berichtet der „Spiegel“. Demnach schickten sechs Mitglieder eine Erklärung an den Parteivorstand und Bayern-Chef des BSW, Klaus Ernst. Darin legten sie ihre Gründe für ihre Austritte dar. Ernst hat die Echtheit des Schreibens gegenüber dem „Spiegel“ mittlerweile bestätigt.
Bei den sechs ausgetretenen Politikern handelt es sich um: Josef Ilsanker (Landes-Vize und Stadtrat in Passau), Robert Striesow (Mitglied des Landesvorstands und Stadtrat in Schweinfurt), Heinz Neff (Gewerkschaftssekretär bei Verdi), Linus Hluchy (Verdi-Gewerkschafter), Kerstin Reichert und Sinan Öztürk (Landes-Vize bei Verdi). Ilsanker und Striesow sind zudem ehemalige Politiker der Partei Die Linke.
BSW stimmt Unions-Gesetzentwurf zu
In ihrer Begründung üben sie Kritik an der Migrationspolitik des BSW. Bei der Abstimmung zu einem Entschließungsantrag der Union in der Vorwoche enthielt sich die BSW-Gruppe mehrheitlich und ermöglichte somit eine Mehrheit für Union und AfD. Beim „Zustrombegrenzungsgesetz“, über das am Freitag entschieden wurde, stimmten sie sogar mehrheitlich zu. In diesem Fall reichte es jedoch nicht für den Gesetzentwurf, da bei Union und FDP einige Abgeordnete nicht an der Abstimmung teilnahmen. So schreiben die Ausgetretenen darauf Bezug nehmend: „Dass wir hier wohl von einigen Mitgliedern der CDU und FDP – beim Thema Menschlichkeit – links überholt wurden, ist für uns nicht hinnehmbar.“
Die Ausgetretenen kritisieren den Rechtskurs der Partei hart. Wagenknecht selbst wollte das Bündnis einst als seriöse Alternative zur AfD installieren. Sie schoss auf dem Parteitag vor Kurzem noch scharf gegen die selbsternannte Alternative für Deutschland. Beim Thema Migration scheuen die Bundestagsmitglieder die Rechtsaußenpartei und deren Positionen nun offenbar nicht. Und das sorgt für Kritik.
Eine sachliche und humanistische Debatte über Fluchtursachen sei zwar essenziell, schreiben die sechs Ehemaligen. Stattdessen erlebten sie jedoch eine „populistische Zuspitzung, die unnötige gesellschaftliche Spaltungen fördert und Gefahr läuft, sich rhetorisch am rechten Rand zu bedienen“. Sie sähen, dass so „Minderheiten“ gegen „Minderheiten“ ausgespielt würden. Das dürfe nicht sein.
Kritik, die Klaus Ernst nicht akzeptiert. „Wir können unser Abstimmungsverhalten nicht danach richten, ob auch Leute zustimmen, die wir nicht mögen“, sagt er dem „Spiegel“. Ganz ähnlich hatte CDU-Chef Friedrich Merz seinen Schritt zu den Bundestagsbeschlüssen zu rechtfertigen versucht. Zudem stößt ihnen auf, dass die Partei im Internet mit Bildern werbe, die denen der AfD vielfach ähneln.
Mitglieder fühlen sich wie Statisten
Nicht neu ist ein weiterer Kritikpunkt, der im Schreiben geäußert wird: die Führungskultur innerhalb des Bündnisses. Dazu heißt es: Es fehle an Transparenz und eine „stark hierarchische Top-down-Struktur“ verhindere Mitbestimmung. Wer sich Vernunft und Gerechtigkeit auf die Fahnen schreibe, sollte seine Mitglieder nicht nur als Statisten behandeln.
Diese und ähnliche Vorwürfe waren zuvor bereits aus anderen Landesverbänden zu hören. In Hamburg kritisierten zwei Mitglieder die Aufnahmepraxis des BSW. Auf jeden Antrag, so der Vorwurf, wolle der Bundesvorstand draufschauen und darüber entscheiden. Die Landesverbände besäßen keinerlei Autonomie bei der Rekrutierung neuer Mitglieder. „Sahra entscheidet alles“, sagte Dejan Lazić. Wagenknecht hatte immer argumentiert, sie wolle verhindern, dass politische Extreme in großer Zahl in die Partei strömen und führe daher ein enorm restriktives Aufnahmeregime.
In Hamburg gründeten die beiden Mitglieder einen Konkurrenzverband, stellten eigene Wahllisten auf und brachten eigene Anträge ein. Die Partei reagierte zu Jahresbeginn auf die beiden Hamburger „Rebellen“, entzog ihnen mit sofortiger Wirkung alle Mitgliedsrechte und leitete Parteiausschlussverfahren ein. Auch in Schleswig-Holstein sollen zum Jahresende Mitglieder das Bündnis verlassen haben, berichtet der „Spiegel“. In Nordrhein-Westfalen haben Parteiunterstützer einen Brandbrief verfasst.
Seit dem 21. Januar soll es allein zwölf Austritte gegeben haben, sagt ein Sprecher. Das mag nicht viel erscheinen, allerdings hat das Bündnis bundesweit weniger als 2000 Mitglieder. Zudem kriselt die Partei in Umfragen, die sie bundesweit derzeit zwischen vier und sechs Prozent sehen. Im aktuellen Trendbarometer von Forsa kommt sie auf vier Prozent, im Juli des Vorjahres stand sie noch bei neun. Zudem kommt der politische Schwenk zur Migration in den letzten Wochen der Partei nicht entgegen. Selbst wenn sie sich dabei eher rechts positioniert, konkurriert sie mindestens mit Union und AfD, in Teilen gar mit der FDP. Die Themen Krieg und Frieden, besonders im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, traten zuletzt deutlich in den Hintergrund. Damit hatte das BSW besonders bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg punkten können.