Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner letzten Regierungserklärung vor der Bundestagswahl scharfe Kritik an Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz geübt. „Es gibt Grenzen, die darf man als Staatsmann nicht überschreiten“, sagte Scholz mit Blick auf Merz‘ migrationspolitische Forderungen. „Der Amtseid eines Bundeskanzlers – und nicht nur dessen – lautet, die Verfassung und das Recht zu wahren und zu verteidigen.“ Es sei Konsens seit Bestehen der Bundesrepublik, dass Parteien des Bundestages nicht mit rechtsextremen Kräften kooperieren. „Sie haben diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt“, sagte Scholz.
Der CDU-Chef nehme „die Unterstützung der AfD für Ihre rechtswidrigen Vorschläge offen in Kauf – derjenigen, die unsere Demokratie bekämpfen. Das ist ein unverzeihlicher Fehler“, sagte Scholz. Der Kanzler redete betont ruhig, war erkennbar um ein staatsmännisches Auftreten bemüht. Es könnte – mit Blick auf die Umfragen – seine letzte Regierungserklärung gewesen sein. Zugleich stellte Scholz die Empörung seiner SPD und auch der Grünen über ein mögliches gemeinsames Abstimmen von Union und AfD ins Zentrum seiner Ansprache.
Scholz warnt vor Koalition von Union und AfD
Scholz erinnerte Merz daran, dass dieser Mitte November im Bundestag mehrfach beteuert habe, keine Gesetze zur Abstimmung zu bringen, die für eine Mehrheit Stimmen der AfD bräuchten. „Was sind diese Worte jetzt noch wert?“, fragte Scholz und schlussfolgerte: „Es darf nach der Bundestagswahl keine Mehrheit für CDU und CSU und AfD geben, sonst droht uns eine schwarz-blaue Regierung in Deutschland.“
Scholz sagte in Richtung Unionsfraktion und der AfD-Bänke: „Programmatische Überschneidungen zwischen Ihnen und denen da gibt es ja nicht nur bei den rechtswidrigen europafeindlichen Vorschlägen zur irregulären Migration.“ Beide Parteien wollten Steuererleichterungen für die Reichsten und künftig mehr Druck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausüben.
Scholz macht Bayern für Aschaffenburg verantwortlich
Scholz bestritt, dass Merz‘ Vorschläge die Gewalttaten in Aschaffenburg, Magdeburg, Solingen und Mannheim verhindert hätten. „Ich bin die Nebelkerzen leid, die nach solchen Straftaten geworfen werden, um die eigenen Missstände zu kaschieren“, sagte er. All diese Anschläge und Angriffe „hätten mit den bestehenden und von uns verschärften Gesetzen verhindert werden können“. Die bayerische Staatsregierung wolle sich aus „aus der Affäre ziehen“, sagte Scholz. „Es sind Dinge schiefgelaufen im Freistaat Bayern.“ Auch das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (BaMF) habe zu langsam gearbeitet. „Das ist nicht akzeptabel.“
Scholz forderte die Union auf, das bislang blockierte Gesetz zur Umsetzung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) mit zu verabschieden. Diese Reform werde das Durchwinken von Flüchtlingen durch andere EU-Staaten nach Deutschland beenden. Es werde eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Länder geben, eine verpflichtende Registrierung aller Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen und eine leichtere Rückführung von Flüchtlingen, für die nach den Dublin-Regeln andere Länder zuständig sind. „Das alles sind Zugeständnisse, für die wir jahrelang gekämpft haben“, sagte Scholz.
„Wenn wir aussteigen aus den europäischen Regeln, steigen auch andere aus“, warnte Scholz weiter. „Das größte Land der Europäischen Union würde offen EU-Recht brechen, so wie das bislang nur Viktor Orbán in Ungarn wagt – mit fataler Signalwirkung für andere Staaten.“ So etwas habe kein Bundeskanzler zuvor je getan.
Erster Punktsieg für Merz
„Sie sagen, Sie würden mit Ihren Vorschlägen ‚all in‘ gehen, so wie man das beim Pokerspiel so daher sagt“, sagte Scholz. „Ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein, denn er entscheidet im schlimmsten Fall über Krieg oder Frieden.“ Die Rede wurde vor allem von den Fraktionen von SPD und Grünen mit Applaus bedacht.
In den Reihen der Union klatschte niemand, während sich Merz immer wieder Notizen für seine anschließende Replik machte. Knapp eine halbe Stunde musste er sich gedulden, dann schritt er ans Rednerpult. Dass sich Scholz‘ womöglich letzter Auftritt im Bundestag ausschließlich den Forderungen seines größten Herausforderers widmete, dürfte Merz da schon als Erfolg verbucht haben.