Trotz der vielen Krisen und Kriege im In- und Ausland will der Bundespräsident in seiner Rede Zuversicht verbreiten. „Mein inständiger Wunsch ist heute: Hass und Gewalt dürfen nicht das letzte Wort haben“, sagt Steinmeier.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
hoffentlich ist endlich Weihnachten, habe ich letzte Woche noch viele sagen hören, in Vorfreude auf den Heiligen Abend und mit der Erwartung auf ein bisschen Ruhe und Entspannung. Inzwischen haben Sie wahrscheinlich das Schöne, das seit jeher zum Weihnachtsfest gehört, schon miteinander geteilt: die guten Wünsche, die Bescherung, das besondere Essen. Manche haben vielleicht einen Gottesdienst besucht, Weihnachtslieder gesungen oder sich einfach darüber gefreut, zusammen zu sein.
Frohe Weihnachten wünschen wir uns gegenseitig in diesen Tagen. Aber über diesem Weihnachtsfest liegt auch ein dunkler Schatten. Trauer, Schmerz, Entsetzen, Fassungslosigkeit über das, was wenige Tage vor Weihnachten in Magdeburg geschehen ist. All das habe ich beim Gedenkgottesdienst am Samstagabend mit den Trauernden dort gespürt. Unsere Gedanken, unser tiefes Mitgefühl gelten heute den Angehörigen und Freunden der Menschen, die der Täter auf so grausame Weise getötet hat. Wir können nur erahnen, was sie durchmachen, welche Qualen sie erleiden. Nichts mehr ist in ihrem Leben wie zuvor. Ihre Pläne, Wünsche, Hoffnungen, ihr Lebensglück – zerstört.
Liebe Angehörige, die Sie einen lieben Menschen verloren haben, ich weiß, in den vielen gut gemeinten Worten, die an Sie gerichtet werden, können Sie keinen Trost finden. Aber ich möchte Ihnen heute sagen: Sie sind mit Ihrem Schmerz nicht allein. Die Menschen überall in unserem Land fühlen und trauern mit Ihnen.
Unsere Gedanken sind heute auch bei den Verletzten und schwer Verletzten. Von Herzen wünsche ich allen hoffentlich rasche Genesung. Und danken möchte ich auch allen, die am Abend des Anschlags und in den Tagen danach vor Ort Hilfe geleistet und Trost gespendet haben und dies auch jetzt in den Weihnachtstagen tun. Ich danke Ihnen, den Polizisten und Feuerwehrleuten, Sanitätern und Ärztinnen, den Seelsorgern und allen, die mitgeholfen haben. Ich danke Ihnen im Namen unseres ganzen Landes!
Vielen wird das Herz schwer sein an diesem Weihnachtsfest. Viele werden aufgewühlt, verunsichert sein, vielleicht auch Angst haben. All diese Gefühle sind verständlich. Aber sie dürfen uns nicht beherrschen, und sie dürfen uns nicht lähmen.
Mein inständiger Wunsch ist heute: Lassen wir das nicht zu! Hass und Gewalt dürfen nicht das letzte Wort haben. Lassen wir uns nicht auseinandertreiben. Stehen wir zusammen! Zusammenhalt, wenn es darauf ankommt, das ist es doch, was unser Land ausmacht. Und: Zeigen wir das – gerade jetzt!
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, zu Weihnachten gehört, dass man auch die trifft, denen man nicht täglich begegnet: den Verwandten, die entfernter wohnen, Freunden von früher, Nachbarn. Und es gehört zu diesen Tagen auch, dass man einander erzählt, wie es jedem im vergangenen Jahr ergangen ist. Da wird an erster Stelle stehen, was in der Familie geschehen ist, im Freundeskreis, im Beruf, im Verein, in der Gemeinde.
Aber auch vieles darüber hinaus wird bei Ihnen Gesprächsthema sein: Was in unserem Land und was in der Welt geschieht und was das für uns bedeutet. Ich kann mir vorstellen, dass da vieles ist, was Ihnen auch Sorgen bereitet – große Sorgen sogar! Und mir geht es genauso: immer noch Krieg in der Ukraine, im Nahen Osten, an viel zu vielen Orten in der Welt.
Und bei uns, in unserem eigenen Land? Viel Unzufriedenheit über Politik, Wirtschaft, über Bürokratie, über Ungerechtigkeiten. Der Ton in unserem Land ist im Alltag rauer geworden, zuweilen sogar unversöhnlich.
Es gibt viele Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wir können sie nicht umtauschen wie Geschenke, die uns nicht gefallen. Wir müssen offen aussprechen, was schlecht läuft, was in unserem Land nicht so funktioniert, wie es funktionieren könnte und sollte. Und vor allem: was dringend getan werden muss.
Was kann uns, werden Sie gerade in diesen Tagen fragen, was kann uns Hoffnung geben? Wie können wir diese Herausforderungen bestehen?
Ich bin überzeugt: Es sind vor allem wir selbst und unsere Stärken, mit denen wir schon in der Vergangenheit große Aufgaben und Krisen gemeinsam gemeistert haben. Gemeinsinn und Tatkraft, Ideenreichtum und Fleiß, Mut und Ehrgeiz, nicht zuletzt Vertrauen in uns selbst! All das ist doch bei uns nicht verloren gegangen, all das ist doch lebendig, all dem begegne ich ja fast täglich, und ich bin überzeugt: All das wird uns Wege in die Zukunft immer wieder neu öffnen.
Und gerade den jungen Menschen will ich sagen: Ihr werdet gebraucht, an vielen Stellen geradezu händeringend gesucht. Und deshalb sage ich auch den Eltern und Großeltern, die sich um ihre Kinder und Enkel Sorgen machen: Die jungen Menschen können, ich bin überzeugt, sie werden ihren Weg gehen.
Genauso bin ich überzeugt: Unsere Demokratie ist und bleibt stark. 75 Jahre hat sich das Grundgesetz jetzt bewährt, 34 Jahre auch in unserem wiedervereinten Land. Diese kluge Verfassung wird uns auch in Zukunft tragen.
Und auch wenn jetzt eine Regierung vorzeitig an ihr Ende gekommen ist, ist das nicht das Ende der Welt, sondern ein Fall, für den dieses Grundgesetz Vorsorge getroffen hat. Die Entscheidung über die Auflösung des Bundestages und über Neuwahlen werde ich mit Sorgfalt nach den Weihnachtstagen treffen.
Und Zuversicht geben mir auch die Vielen, die ich überall in unserem Land treffe. Die einfach tun, was sie als ihre Aufgabe begreifen und als gar nichts Besonderes ansehen: Diejenigen, die den Sportverein, den Chor, den Jugendtreff, die Landfrauen oder die Pfadfinder mit Energie und Optimismus am Laufen halten; die dem Kind der alleinstehenden Nachbarin bei den Hausaufgaben helfen; die Einsame im Krankenhaus und im Hospiz besuchen; die, die sich freiwillig in der Feuerwehr engagieren. All diese wunderbaren Menschen, die an mehr denken als nur an sich selbst. All die leisten Großartiges – und sie geben unserem Land Wärme und ein freundliches Gesicht.
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, Feste wie Weihnachten schenken uns ein wenig Abstand von unserem Alltag. Nutzen wir diese Unterbrechung, um lebendig zu halten, was uns verbindet: unsere Familie, unsere Freundschaften, all die Beziehungen, die uns Kraft geben und in denen wir selber so viel Gutes bewirken können.
Weihnachten erinnert uns: Wir leben nicht nur von dem, was wir selber machen und bewirken können. Wir leben oft noch mehr von dem, was wir geschenkt bekommen. Wir leben auch von manchem Guten, das uns unverhofft begegnet, und von dem Glück, das andere uns bereiten.
Das kann uns innere Kraft geben – jedem Einzelnen und uns allen gemeinsam. Und das kann uns für manches auch wieder ein bisschen dankbarer machen.
In diesem Sinne wünschen meine Frau und ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.