Sonntag, 17.November 2024 | 03:45

Treffen im September in Potsdam: FDP soll Koalitionsende akribisch geplant haben

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Die FDP soll zwei Medienberichten zufolge bereits seit September akribisch ein Ende der Ampel-Koalition geplant haben. In mehreren Treffen seien verschiedene Szenarien durchgespielt worden, berichteten „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“. Teilgenommen hätten unter anderen die damaligen FDP-Minister. Die Zeitungen berufen sich auf Schilderungen mehrerer Personen, die mit den Vorgängen vertraut seien. Zudem habe die Redaktion der „Zeit“ Dokumente eingesehen, die in diesen Wochen entstanden seien.

Die SZ berichtet von einem Auftakttreffen der FDP-Spitzen am 29. September in Potsdam. Demnach tagte an jenem Tag das sogenannte „F-Kabinett“ der FDP bei seiner Herbstklausur in der Potsdamer „Truman-Villa“, dem Sitz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Neben Lindner gehören die anderen Bundesminister der Partei zu diesem Zirkel, zudem Fraktionschef Christian Dürr, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, Parteivize Johannes Vogel sowie einige weitere Vertraute.

In der Diskussion waren laut „Zeit“ drei Szenarien: das sogenannte „Wolfgang-Gerhardt-Szenario“, nach dem die FDP konstruktiv bis zum bitteren Ende in der Regierung weiterarbeiten solle; das „Gerhard-Schröder-Szenario“, in dem die FDP Kanzler Olaf Scholz dazu bringen solle, die Vertrauensfrage zu stellen; und zuletzt das Szenario, nach dem die FDP die Koalitionspartner so weit reizen solle, bis der Kanzler die liberalen Minister entlässt.

Die Runde aus etwa einem Dutzend Personen habe sich demnach mehrheitlich für das Ende der Ampel nach dem dritten Szenario ausgesprochen: Nur zwei der Anwesenden seien laut SZ dagegen gewesen: Bundesverkehrsminister Volker Wissing und der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner, den die FDP 2021 für diese Aufgabe nominiert hatte. Justizminister Marco Buschmann soll laut „Zeit“ ebenfalls gezögert, sich dann aber der Mehrheit angeschlossen haben.

Anschließend sollen zwei FDP-Mitarbeiter vom Führungszirkel der Partei den Auftrag erhalten haben, den Plan auszuarbeiten und eine Art Skript für den Ausstieg aus der Koalition zu entwerfen. In einem internen Chat dieser Mitarbeiter soll der Tag des Koalitionsbruchs als „D-Day“ bezeichnet worden sein – eine Anspielung auf den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie im Jahr 1944. In der FDP-Zentrale sollen Mitarbeiter auf diese Wortwahl mit Entsetzen reagiert haben.

Der Plan, der erarbeitet worden sein soll, kommt dem Geschehen rund um den 6. November, dem tatsächlichen Koalitionsbruch, dann sehr nahe. Laut den Berichten sollten Mitarbeiter ein Wirtschaftspapier erarbeiten, das für SPD und Grüne unzumutbare Forderungen enthält – tatsächlich wurde kurz vor dem Ende der Ampel ein solches Papier bekannt, das von vielen als „Scheidungspapier“ der FDP bezeichnet wurde. Zudem umfasste der Plan, ein zweites Papier unter der Hand in Umlauf zu bringen, das eine düstere Bilanz grüner Politik in Deutschland zeichnen und explizit die Grünen reizen sollte. Ein solches Papier fand den Weg bisher nicht an die Öffentlichkeit, der „Zeit“ liegt es nach eigenen Angaben jedoch vor.

Auch ein Zeitplan für den Koalitionsbruch wurde demnach entworfen. Dieser geriet laut der Wochenzeitung jedoch durcheinander, als Verkehrsminister Wissing in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sein Bekenntnis zur Ampel veröffentlichte. In der FDP-Zentrale sei dies als Versuch gelesen worden, den Plan noch zu vereiteln. Die Liberalen stachen daraufhin laut „Zeit“ das Wirtschaftspapier an den „Stern“ durch, der es als Erstes veröffentlicht. Eigentlich sollte es demnach erst später publik werden.

In der Woche des Koalitionsendes gewann Lindner laut „Zeit“ den Eindruck, dass Scholz die FDP-Minister nicht entlassen würde. Daher besprach ein FDP-Führungszirkel, dann schon ohne Wissing, am 4. November, dass es eine Option sei, sich in der Woche der Haushaltsberatungen und des Koalitionsausschusses konziliant zu geben. Am Freitag, den 8. November, sollte dann selbst gehandelt werden: Wenn Scholz beim EU-Gipfel in Budapest und fern vom politischen Berlin weilte, sollten sich die FDP-Minister aus der Regierung zurückziehen.

Tatsächlich entwickelten sich die Dinge anders: Im Kanzleramt soll sich laut „Zeit“ herumgesprochen haben, dass die FDP zum Koalitionsbruch entschlossen sei. Scholz gab drei Reden in Auftrag: eine für den Fall, dass es wider Erwarten noch eine Einigung gibt, eine für den Fall, dass die FDP die Regierung verlässt. Und eine für den Fall, dass er die FDP hinauswirft. Zudem ließ er seinerseits ein Wirtschaftspapier entwerfen, das nicht einigungsfähig war. Damit hatte er die Handlungshoheit wiedergewonnen. Die Pläne vom selbstbestimmten „D-Day“ der FDP schlugen fehl.

Die Beteiligten wollten sich auf Anfrage zu den Recherchen von SZ und „Zeit“ nicht äußern. Der frühere Justizminister Marco Buschmann erklärte demnach, dass er die zitierten Äußerungen weder bestätigen noch dementieren wolle. Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, FDP-Fraktionschef Christian Dürr und der inzwischen aus der FDP ausgetretene Verkehrsminister Volker Wissing ließen demnach ausrichten, dass sie grundsätzlich nicht aus internen Sitzungen berichten.

Ex-Finanzminister Christian Lindner sagte zu dem angeblich von langer Hand geplanten Koalitionsbruch gegenüber der SZ: „Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 haben wir immer wieder und in verschiedenen Runden unsere Regierungsbeteiligung bewertet. Selbstverständlich wurden immer wieder Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt.“

SPD-Politiker reagierten empört auf die Berichte: „Verantwortung als Fremdwort, Bösartigkeit als Methode: Ich bin tief erschüttert über dieses Verhalten der FDP“, schrieb Arbeitsminister Hubertus Heil auf der Plattform X. Gesundheitsminister Karl Lauterbach nannte den von der „Zeit“ und der „Süddeutschen“ Zeitung geschilderten Vorgang eine „unfassbare Enttäuschung“. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt quittierte die „bemerkenswerten“ Berichte mit einem knappen „aha“.

SPD und FDP hatten sich in den vergangenen Tagen wechselseitig vorgeworfen, das Ende der Ampel-Koalition provoziert zu haben. FDP-Chef Christian Lindner warf Bundeskanzler Olaf Scholz nach seinem Rauswurf aus der Koalition eine „Entlassungsinszenierung“ vor.

Für Wirbel sorgten in dieser Woche auch Äußerungen des neuen Bundesfinanzministers Jörg Kukies von der SPD zum Ablauf des Zerbrechens der Ampel-Koalition. Kukies war am Dienstag beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“ gefragt worden, wann er gewusst habe, dass er eine neue Aufgabe bekomme. Der bisherige Wirtschaftsberater des Kanzlers antwortete: „sehr kurz davor“. Auf Nachfrage präzisierte er: „Einen Tag vor dem Mittwoch, dem Koalitionsausschuss, haben wir zum ersten Mal abstrakt darüber gesprochen, dass das eine Möglichkeit sein könnte.“

Aus den Reihen von Union und FDP wurde dem Kanzler daraufhin vorgeworfen, er habe den Rauswurf des bisherigen Finanzministers Lindner und damit den Bruch der Ampel-Koalition beim Koalitionsausschuss vor einer Woche gezielt herbeigeführt.

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