Sonntag, 24.November 2024 | 06:46

Rassistische Straftaten: Ein besonders schlimmes Wochenende in MV

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„Skandieren verfassungsfeindlicher Parolen – Polizei sucht Zeugen“, „Zeugenaufruf nach Körperverletzung in Penkun“, „Volksverhetzung und Angriff auf Polizeibeamte nach Public Viewing in Warnemünde“, „Polizeieinsatz auf dem Marienplatz“, „Rechte Parolen in Neubrandenburg skandiert – Polizei sucht weitere Zeugen“ und „Polizeieinsatz Grevesmühlen“. Hinter diesen Überschriften verbergen sich Pressemeldungen der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern an diesem Wochenende. Hinter diesen Pressemeldungen verbergen sich Dutzende Menschen, meist deutsch, männlich und jung, die als Tatverdächtige ausgemacht oder nach denen noch gesucht wird. Hinter diesen Tatverdächtigen verbergen sich rassistische Gesänge, volksverhetzende Gesten und rohe Gewalt.

Wer an diesem Wochenende die Schlagzeilen aus Mecklenburg-Vorpommern verfolgt, muss erschüttert sein. Was mit ausländerfeindlichen Umdichtungen von Gigi D’Agostinos „L’amour toujours“, vorgetragen unter anderem von gut betuchten Partygästen auf Sylt, vor einigen Wochen begann, bestimmt derzeit das polizeilich erfasste Geschehen in Mecklenburg-Vorpommern. Pünktlich zum Auftakt der Fußball-Europameisterschaft. Unter wehenden Deutschlandfahnen stimmen einige DFB-„Fans“ vor etlichen Zeugen „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ an. In Rostock-Warnemünde kommt es im Zuge dessen zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Polizeibeamten. Auch ein 15-jähriges Mädchen soll freudig mitgegrölt haben.

In Schwerin stellen sich am Samstag rund 20 Männer unbehelligt auf die Schlossbrücke. Mitten vor den Landtag. Sie stehen oberkörperfrei da, zeigen unbehelligt den Hitlergruß. Eine Frau filmt sie. Die Polizei kann im Nachgang nur nach Zeugen suchen. Die Tatverdächtigen sind da schon längst verschwunden. Am Freitagabend kommen die Beamten dagegen rechtzeitig zum Tatort am Schweriner Marienplatz. Sie nehmen einen 45-jährigen Deutschen fest. Er hatte zuvor einen 33-jährigen Algerier mit einem Messer im Gesicht verletzt. Der Mann kommt in ein Krankenhaus.

Im äußersten Südosten des Bundeslandes wird in der Nacht zu Samstag ein 24-jähriger Deutscher Opfer einer Gewalttat. Auf der Festwiese in Penkun erleidet der zum Tatzeitpunkt stark alkoholisierte Mann einen Nasen- und Fingerbruch. Sechs bis sieben Personen sollen laut einer Zeugenschilderung auf ihn eingeschlagen haben. Zuvor soll auch in der Gemeinde im Landkreis Vorpommern-Greifswald die gängige Melodie mit umgedichtetem, ausländerfeindlichem Text erklungen sein. Die Polizei schreibt, der Verletzte habe ein „südländisches Aussehen, einen Zusammenhang mit dem Grölen der Parolen und der Straftat wird nicht ausgeschlossen“.

Unter der Überschrift „Polizeieinsatz Grevesmühlen“ ist indes eine besonders verächtliche Tat zusammengefasst. Am Freitagabend greift eine Gruppe von rund 20 Personen zwei kleine Mädchen an. Sie sind acht und zehn Jahre alt. Sie stammen aus Ghana. Dem jüngeren Mädchen treten mehrere Personen ins Gesicht. Die Eltern der Kinder greifen ein. Auch der Vater wird leicht verletzt. Als die Polizei anrückt, beleidigt eine unbekannte Person die Opfer noch rassistisch. Bei den Tatverdächtigen soll es sich laut den Beamten um Jugendliche und Heranwachsende handeln.

Besonders diese Tat sorgt für Bestürzung. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig schreibt auf der Plattform X: „Ich bin entsetzt über den brutalen Angriff von Jugendlichen auf zwei ghanaische Mädchen in Grevesmühlen. Das verletzte Mädchen ist 8 Jahre – so jung wie meine Tochter. Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass & Hetze unsere Gesellschaft vergiften und Gewalt unsere Kinder bedroht.“ Und weiter: „Diese abscheuliche Tat muss rasch Konsequenzen haben. Rassismus und Gewalt sind widerlich. Das gilt erst recht, wenn Kinder angegriffen werden.“

Schwesigs SPD koaliert in Schwerin derzeit mit der Linkspartei. Der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Michael Noetzel, teilt mit: „Was zur Hölle ist in unserem Bundesland los? Der rassistische Angriff in Grevesmühlen ist an Niederträchtigkeit nicht zu überbieten. Angesichts einer derart grausamen und feigen Tat fehlen mir schlicht die Worte.“ Und weiter: „Dieser Angriff ist Ausdruck einer nationalistischen und rassistischen Enthemmung auf den Straßen, vor der nach dem zurückliegenden Wahlsonntag viele gewarnt und noch mehr befürchtet haben.“

Nicht nur in Grevesmühlen, auch in Schwerin, Rostock und anderen Orten des Landes fühlten sich rassistische und nazistische Täter offenbar zunehmend ermutigt und ermächtigt zuzuschlagen, so der Linken-Politiker. „Angestachelt durch rassistische Hetze in den Parlamenten und einer Diskursverschiebung nach rechts, die sich in den jüngsten Wahlergebnissen niederschlägt, sind Volksverhetzung und tätliche Angriffe die Folge.“

Und die AfD in Mecklenburg-Vorpommern? Die schweigt bislang in den gängigen sozialen Netzwerken zu den rassistischen Übergriffen (Stand Sonntagnachmittag). Vielmehr feiert sie dort prominent den „Stolzmonat“ Juni – als Abgrenzung zum „pride month“, bei dem alljährlich die Belange von LGBTQI+-Menschen in den Mittelpunkt rücken. Am 13. Juni teilte der Vorsitzende Nikolaus Kramer ein Bild seiner Fraktion im Landtag. Auf den Tischen vor den Abgeordneten stehen kleine Deutschlandfahnen. „Meine Fraktion zeigt im Plenarsaal geeint Flagge“, schrieb er dazu.

Bei der Europawahl am vergangenen Sonntag wurde die AfD in Mecklenburg-Vorpommern mit Abstand stärkste Kraft. Sie bekam 28,3 Prozent der Stimmen. Im Landkreis Nordwestmecklenburg, wo Grevesmühlen die zweitgrößte Stadt ist, erhielt die Partei 26,6 Prozent der Stimmen und lag damit ebenfalls deutlich vor der zweitplatzierten CDU (21,7 Prozent). Auch bei den Kommunalwahlen entschied die AfD mehrere Landkreise für sich, darunter die Landeshauptstadt Schwerin, die Hansestadt Rostock, Nordwestmecklenburg und Vorpommern-Greifswald.

Nicht nur im Nordosten werden derzeit Fanfeste anlässlich der Fußball-Europameisterschaft genutzt, um volksverhetzende, rassistische Parolen vor einem großen Publikum zu rufen. Ähnliche Zwischenfälle gab es am Wochenende etwa im saarländischen St. Wendel und in Bremen. Doch die Häufung der Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern, wo gerade einmal rund 1,6 Millionen Menschen leben, schreckt auf. Ein nicht gerade weltoffenes Image hängt dem Bundesland schon seit Jahren, gar Jahrzehnten an. Solange „Ausländer raus“ gebrüllt und nicht-weiße Personen angegriffen werden, wird sich daran nichts ändern. Für die Betroffenen ist das ein Albtraum. Für das Land ist das beschämend.

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, forderte vor dem Eindruck der Geschehnisse in Grevesmühlen einen „Aufstand der Anständigen“. Jeder Zeuge, der schweige, mache sich mitschuldig, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Rassismus sei in Deutschland nie weg gewesen, sondern habe sich in der Gesellschaft eingenistet, so die Grünen-Abgeordnete. „Rassisten trauen sich heutzutage wieder, lauter und hemmungsloser zu hetzen. Dem muss eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft und ein wehrhafter Rechtsstaat konsequent und mit voller Härte Einhalt gebieten.“

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1 Kommentar

  1. Mittlerweile ist doch schon erwiesen, dass die Kinder gelogen haben. Wo ist da der Aufschrei und die Entschuldigung der Politiker, die wieder mal vorschnell „gebrüllt“ haben und die Tat dem „Dunstkreis“ der AfD zugeschrieben haben. Diese Politiker spalten das Land und sonst niemand 🤬❗

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