Mehr Traumstart geht nicht. Mit einem Spiel versöhnt sich die DFB-Elf nach vielen schwierigen Jahren mit den Fans. So schnell geht das manchmal im Fußball. Ohne Nervosität, dafür mit Durchschlagskraft, Spielwitz und Dominanz startet die Mannschaft von Julian Nagelsmann in die Heim-EM.
Das Auftaktspiel bei einem Turnier ist immer wichtig, weil richtungsweisend. So wichtig wie in diesem Jahr war es noch nie: Nicht allein der Druck der Heim-EM lastet auf der DFB-Elf. Nach Jahren der Misere, nach den desaströsen Auftritten bei den vergangenen Turnieren – vor allem 2018 und 2022 mit dem doppelten Aus in der Vorrunde – sind die Erwartungen riesig. Gerade, weil Deutschland Gastgeber ist.
Nagelsmanns Elf muss liefern. Nicht nur einen Sieg, sondern ein beeindruckendes Spiel. Das tut sie. Die Tür, hinter der all der Frust, die Skepsis und Häme der vergangenen Jahre lauern, wird mit einem lauten Knall zugeschlagen. Peng. Der gewaltige Rums erzeugt statt Zweifel Begeisterung, die sich aus der Allianz Arena nun in alle Teile Deutschlands verbreiten könnte. Für die Euphorie, die durch den Rest des Turniers tragen soll. Für das Selbstvertrauen in den Köpfen der DFB-Kicker, das für die noch kommenden, weitaus größeren Partien als das Schottland-Spiel nötig sein werden. Für das Sommermärchen 2.0?
Bei Philipp Lahm dauerte es im WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica damals nur sechs Minuten. Die Nagelsmänner nehmen sich ein klein wenig mehr Zeit. Aber sie sind nicht eingeschüchtert von den vielen, lauten mitgereisten Schotten, und auch nicht verunsichert, von dem Druck, der tonnenschwer in diesem Eröffnungsspiel auf ihnen lastet. Sie legen rasant los und brauchen bis zur 10. Minute für die Eröffnung: Toni Kroos rutscht aus, sein Seitenwechsel landet trotzdem bei Kimmich.
Der Ball kommt in die Mitte zu Florian Wirtz. Tor. Danach gibt es nur eine Richtung: auf den schottischen Kasten. Die angereisten Scotts, die die Münchner Innenstadt in eine große Party verwandelten, müssen mitansehen, wie ihr Team wacker verteidigt, aber keinen einzigen Torschuss schafft. Der fröhliche, laute Gesang wird immer seltener, immer leiser. Am Ende stehen sie mit verschränkten Armen im Block, manchmal erklingt noch ein einsamer Dudelsack. Sie erleben den bittersten Abend. Einige sind schon weg, als der Ehrentreffer fällt.
Und die deutsche Elf? Sie spielt sich in einen Rausch. Die Stimmung im Stadion ist kein Vergleich zu den Testspielen davor. Es wird gejubelt, geklatscht, es wird „Deutschland, Deutschland“ gerufen. Das, was auf den Rängen passiert, überträgt sich auf den Rasen. 20. Minute: Tor, Jamal Musiala. Ausgerechnet, muss man sagen: Was wäre vor 18 Monaten gewesen, wenn er in Katar seine Torchancen besser verwandelt hätte? Heute ist das egal, jetzt macht er sie. Klar, die Schotten hatten ihre besten Aktionen nicht auf dem Platz, sondern auf den Rängen. Wie aussagekräftig ist dieses 5:1 für das deutsche Team? Das ist unklar. Aber: Es lichtet sich der Schleier über dem DFB-Team. Niemand wusste vor diesem Turnier, wie gut diese DFB-Elf eigentlich ist. Wie aussagekräftig waren die Testspiele? Funktioniert Nagelsmanns Wette auf sein Rollensystem?
Es zeigt sich: Der Plan geht auf. Der Bundestrainer hat zu Recht an seinem Personal festgehalten und seine Mannschaft perfekt eingestellt. Toni Kroos lenkt das Spiel, İlkay Gündoğan findet endlich seine Rolle und überzeugt als Kapitän, Musiala und Wirtz zaubern, Joker Niclas Füllkrug zeigt, welche Qualität von der Bank kommt. Sogar der nachnominierte Emre Can trifft. Als Thomas Müller eingewechselt wird, erhält er laute Sprechchöre. Die DFB-Elf macht wieder Spaß. Versöhnt, euphorisch, vorfreudig auf mehr strahlen die Fans. „Oh, wie ist das schön“, singen sie.
