Sonntag, 24.November 2024 | 22:51

Fragebogen, Musterung, Auswahl: So soll die neue Wehrpflicht aussehen

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Mit einem „neuen Wehrdienst“ will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius für mehr Reservisten sorgen. Zugleich hofft er auf einen „positiven Nebeneffekt“. Wie sieht der Plan aus, warum wird er jetzt vorgestellt? Und sind auch Frauen betroffen? Alle Fragen und Antworten im Überblick.

Warum jetzt?

Hintergrund ist die viel beschworene Zeitenwende, also der russische Überfall auf die Ukraine, aber das ist nicht alles. „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius vor einigen Tagen im Bundestag. Vereinzelt wird der SPD-Politiker für solche Sätze als Kriegstreiber dargestellt, aber – egal, wie man zur Wehrpflicht steht – das ist mindestens eine grobe Verzerrung. Denn Pistorius sagt auch: „Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt.“

Das Bundesverteidigungsministerium geht davon aus, dass Russland trotz seiner Verluste in der Ukraine in fünf Jahren in der Lage ist, NATO-Territorium anzugreifen. Es geht beim Aufbau der konventionellen, also nicht-atomaren Streitkräfte um dasselbe wie bei der atomaren Abschreckung: Die NATO soll so stark sein, dass ein potenzieller Angreifer seine Pläne fallen lässt.

Und dafür sind mehr Soldaten nötig?

Die Verteidigungspläne der NATO sehen unter anderem eine personelle Verstärkung der Truppen vor. Für die Bundeswehr ist von 203.000 Soldatinnen und Soldaten die Rede. Bisher sind es 181.000.

Aber es geht nicht in erster Linie um Soldaten, sondern um Reservisten; vorwiegend deren Zahl soll erhöht werden. „Im Verteidigungsfall brauchen wir eine stärkere Reserve“, sagte SPD-Verteidigungspolitiker Dirk Vöpel: „Die Zeitenwende ernst nehmen heißt, mehr Wehrdienstleistende für die Bundeswehr zu gewinnen, um die Zahl der Reservisten für einen möglichen Verteidigungsfall zu erhöhen.“

Langfristiges Ziel sei eine Personalstärke der Bundeswehr von 460.000 Soldaten – rund 200.000 Aktive im stehenden Heer, der Rest in der Reserve, sagte Pistorius am Mittwochvormittag nach Angaben eines Sitzungsteilnehmers im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Das Verteidigungsministerium teilte mit, das Modell eines neuen Wehrdienstes habe zwar nicht das Ziel, bestehende Personallücken der aktiven Truppe zu schließen. Aber: „Wenn es gelingt, dass sich junge Männer und Frauen bei der Bundeswehr für längere Zeit verpflichten, wäre dies ein positiver Nebeneffekt.“

Hat die Bundeswehr denn die Infrastruktur für Wehrpflichtige?

Nicht bei einer Wehrpflicht, wie sie früher galt. Deswegen soll es auch keine allgemeine Pflicht geben. In einem ersten Schritt sollen deshalb zunächst 5000 zusätzliche Wehrdienstleistende nach dem neuen Modell angeworben werden. Pistorius kalkuliert dabei mit Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro.

Also keine Pflicht?

Doch, aber nicht so viel Pflicht wie früher. Pistorius‘ Modell sieht vor, dass 18-jährige Männer und Frauen angeschrieben werden. Männer sind verpflichtet, den zugesandten Fragebogen auszufüllen und zurückzuschicken, bei Frauen ist dies freiwillig.

Was passiert, wenn ein Mann nicht antwortet?

Möglich wäre ein Bußgeld, aber solche Details sind bislang offen. Das Wehrdienst-Modell muss noch in einen Gesetzentwurf gegossen und vom Bundestag diskutiert und beschlossen werden.

Wie wird entschieden, wer gemustert werden soll?

Das soll auf der Basis des Fragebogens geschehen. Damit lehnt sich Pistorius an das schwedische Wehrpflichtmodell an, das ebenfalls vor allem, aber nicht nur auf Freiwilligkeit setzt. Nach der Musterung wählt die Bundeswehr „die Geeignetsten und Motiviertesten“ aus, wie das Bundesverteidigungsministerium erklärt: „Es erfolgt also eine Auswahl nach Qualitätskriterien.“

Wo endet die Freiwilligkeit?

Pistorius und sein Haus gehen davon aus, dass sich ausreichend viele junge Männer und Frauen freiwillig melden.

Wie lange soll der Wehrdienst dauern?

Der Grundwehrdienst soll sechs Monate dauern und eine „Option“ für einen zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst von bis zu zusätzlichen 17 Monaten haben.

Wann geht es los?

Im kommenden Jahr. Die Zahl von 5000 zusätzlichen Wehrdienstleistenden will Pistorius 2025 erreichen. Allerdings kann es da noch Verzögerungen geben. „In den kommenden Wochen werden wir nun die Vorschläge des Ministers erörtern“, sagte der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander Müller. „Wir wollen die freiwilligen Elemente möglichst schnell umsetzen.“ Das klingt nach Gesprächsbedarf.

Warum ist die Antwort für Frauen freiwillig?

Der Unterschied hat einen rechtlichen Grund: Die Wehrpflicht wurde 2011 nur ausgesetzt, sie steht weiter im Grundgesetz. Dort heißt es: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften (…) verpflichtet werden.“ Um die Antwortpflicht auch auf Frauen auszuweiten, bräuchte es eine Grundgesetzänderung. Dieses Fass möchte Pistorius nicht aufmachen, denn dann müsste nicht nur die Ampel sich einigen, sondern sie bräuchte auch die Union. Diese hat gerade im Mai auf dem Parteitag in Berlin beschlossen, die Aussetzung der Wehrpflicht „schrittweise“ zurückzunehmen „und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr“ zu überführen.

Zwischen einer generellen Skepsis gegenüber Pflichtdiensten bei FDP und Grünen und dem Ziel eines allgemeinen Pflichtjahres hat sich Pistorius offenbar für einen Mittelweg entschieden. Die Wehrpflicht geht auf die 1950er Jahre zurück; eine Zeit, in der ein Dienst von Frauen an der Waffe kaum vorstellbar war.

Was ist mit der Wehrgerechtigkeit?

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf X, im Sinne der Wehrgerechtigkeit sollten „sowohl junge Frauen als auch junge Männer“ den Fragebogen verpflichtend ausfüllen müssen. „Die vom Minister forcierte Konzentration auf junge Männer dürfte nicht zu halten sein.“ Das sieht das Verteidigungsministerium anders: Die geplanten Kriterien für die Heranziehung „orientieren sich an den konkreten Bedarfen für die Landes- und Bündnisverteidigung“. Damit würden die Kriterien der Wehrgerechtigkeit erfüllt. Eine etwaige Klage wegen der Ungleichbehandlung von Männern und Frauen dürfte interessant werden. Schließlich ist diese Ungleichheit im Grundgesetz festgeschrieben.

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