Sonntag, 24.November 2024 | 17:01

Nagelsmann vor Entscheidung: Für wen platzt der EM-Traum auf den letzten Metern?

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Julian Nagelsmann hat vor dem Start der Europameisterschaft mächtig Stress: Der Bundestrainer muss die deutsche Fußball-Nationalmannschaft titelreif machen. Mit zwei Siegen im März hatte er mit seinem Team für einen Stimmungsumschwung gesorgt: Was im Frühjahr noch am Boden lag, soll jetzt fliegen können, so wünscht man es sich im Land des Rekord-Europameisters. Und dann ist da noch eine emotionale Pflichtaufgabe: Nagelsmann muss nicht nur Träume befeuern, sondern auch einen EM-Traum platzen lassen.

Mindestens einen Spieler aus seinem vorläufigen Kader muss der Bundestrainer noch vor dem ersten Anstoß nach Hause schicken. Es wird jemand sein, „der es nicht verdient hat“, sagte er zuletzt. Aktuell hat Nagelsmann 27 Spieler unter seiner Aufsicht, spätestens nach dem letzten Testspiel gegen Griechenland (Freitag, 20.45 Uhr) sind die maximal 26 Profis zu benennen, mit denen er die Europameisterschaft bestreiten will. Ein Überblick der wahrscheinlichsten Optionen.

Julian Nagelsmann darf sich glücklich schätzen: Seine Vorbereitung verläuft nahezu störungsfrei. Weder die Tage in Thüringen, wo er sein Team für den Auftakt versammelt hatte, noch das Champions-League-Finale, in dem mit Niclas Füllkrug, Nico Schlotterbeck, Antonio Rüdiger und Toni Kroos vier DFB-Stars aufliefen, noch die Einheiten im EM-Quartier Herzogenaurach produzierten frische Wehwehchen. Einzig Leroy Sané war mit einer Verletzungshistorie angereist, die für Sorgenfalten hätte sorgen können.

Doch der Angreifer des FC Bayern, der im Saisonendspurt wegen Schambeinproblemen gefehlt hatte, ist fit: „Es geht bergauf. Mir geht es sehr gut. Wir haben es mit den Physios und den Ärzten gut im Griff“, sagte Sané jüngst und Nagelsmann gab seinem Spieler eine Einsatzgarantie: „Er hat schon die Chance, in die erste Elf zu rutschen. Aber er muss trainieren und wird gegen die Griechen zum Einsatz kommen“, sagte Nagelsmann nach dem 0:0 am Montag gegen die Ukraine.

Manuel Neuer, Marc-André ter Stegen, Oliver Baumann und Alexander Nübel: Gleich vier Torhüter hat Julian Nagelsmann ins vorläufige Aufgebot berufen. Zum Einsatz während des Turniers kommen wohl – und dafür müsste sich Stammtorhüter Manuel Neuer schon verletzen – höchstens zwei von ihnen. Dennoch gibt es wenige Indizien dafür, dass der Bundestrainer seinen Streichkandidaten im Torhüter-Quartett suchen wird.

Vier Torhüter sind in der langen Geschichte des DFB noch nie zu einem Turnier gefahren, Nagelsmann aber liebt diese Idee: Der 36-Jährige begründet den Plan damit, dass die Trainingsqualität während des Turniers mit dem Quartett höher und die Belastungssteuerung leichter sei. Dabei dürfte es auch darum gehen, dem Ex-Kapitän Manuel Neuer im Training ein paar Prozent Belastung abnehmen zu können. Schließlich plagten ihn nach seiner schweren Beinverletzung immer wieder kleinere Wehwehchen.

Tendenz: Alle vier Torhüter fahren mit. Dafür muss dann mindestens einer der Feldspieler aus dem vorläufigen Aufgebot daheim bleiben. Ändert Nagelsmann seine Meinung doch, dürfte es Alexander Nübel erwischen: Der Stuttgarter, ausgeliehen vom FC Bayern, war erst durch die verletzungsbedingte Absage von Bernd Leno in der DFB-Hierarchie in den Kader aufgestiegen.

Eine Sache hat Robin Koch schon erreicht: Er hat sich gegen den Beinahe-Champions-League-Sieger Mats Hummels durchgesetzt. Denn der alternde BVB-Star hatte die Fußballnation mit seinen Leistungen in der Königsklasse – vor allem in den Halbfinals – an seine Klasse erinnert. Im Nagelsmannschen Kader war es vor der Nominierung die einzig verbliebene spannende Frage: Ergattert der 35-jährige Heldengrätscher nun ein EM-Ticket, oder nicht? Der Bundestrainer blieb seinem strikten Rollenprinzip treu und ließ Hummels daheim.

Stattdessen durfte also der selbstbewusste Robin Koch die ersten Meter der EM-Reise mitgehen. Die Frage ist, ob der Weg für den 27-Jährigen schon am Freitag endet und er wieder Koffer packen muss. Im EM-Kader stehen bereits vier Innenverteidiger, braucht es da wirklich noch einen fünften? Zwar bekam der Eintracht-Frankfurt-Star gegen die Ukraine seine Einsatzzeit, fiel aber weder positiv noch negativ auf. Zudem hatte Koch dann noch Pech: Er spielte kurz vor Schluss den zu kurz geratenen Pass, der Manuel Neuer arg in Bedrängnis brachte.

Tendenz: Es wird knapp für Robin Koch. Vermutlich muss er die Koffer packen.

Einer überstrahlte am Montagabend im Bauch des Nürnberger Max-Morlock-Stadions noch die grellen Lichter der TV-Kameras: Maximilian Beier. Der 21-Jährige von der TSG Hoffenheim hat ohnehin ein besonderes Bundesligajahr hinter sich. In 33 Spielen gelangen ihm insgesamt 22 Scorerpunkte, für seine erste vollständige Saison im Fußball-Oberhaus ist das ein beeindruckender Wert. Sein Beinahe-Bilderbuch-DFB-Debüt gegen die Ukraine setzte dem noch die Krone auf: Beier erfüllte seine Aufgabe als „Stressmacher“, der von der Bank kommt. Seine Einwechslung brachte neuen Schwung, er selbst hatte zwei große Chancen.

Doch reicht ein Auftritt für das EM-Ticket? „Er hat’s auf jeden Fall wahrscheinlicher gemacht“, sagte Nagelsmann am Montag. Nur hat Beier ein Problem. Eigentlich gibt es in der deutschen Auswahl genügend Offensivspieler. Jamal Musiala, Florian Wirtz, İlkay Gündoğan, Leroy Sané, Chris Führich, Kai Havertz, Thomas Müller, Niclas Füllkrug, Deniz Undav: Die Liste derer, die im Zweifel vorher eingewechselt werden oder von Anfang an spielen, ist lang. Auch wenn er jugendliche Frische mitbringt: Für Beier ist diese Liste vielleicht zu lang. Und was ist, wenn man im späteren Turnierverlauf einen defensiven Spieler braucht, um ein Ergebnis abzusichern? Wäre dann nicht Robin Koch besser?

Tendenz: Obwohl er in der Reihenfolge erst der zehnte Offensivspieler ist, kann sich Beier große EM-Chancen ausmalen.

Nagelsmann könnte die Entscheidung auch abgenommen werden. Denn immer wieder ist es so, dass sich noch ein Turnierkandidat kurz vor dem Auftakt verletzt – so wie bei Marco Reus vor der WM 2014 in Brasilien. So tragisch das für den Ex-BVB-Star war, dem Turniererfolg hatte das nicht geschadet. Bislang zeichnet sich das jedoch bei dieser Heim-EM noch nicht ab.

Der Bundestrainer könnte aber auch zu einer kreativeren und unwahrscheinlichen Lösung greifen. Die beiden Backup-Außenverteidiger Benjamin Henrichs und David Raum waren die einzigen (nicht gesperrten) Feldspieler, die sich gegen die Ukraine nicht zeigen konnten. Besonders Henrichs kann auf beiden Seiten spielen, theoretisch könnte man Raum also vielleicht auch streichen.

Tendenz: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Nagelsmann diese Option wählt. Denn ohne Außenverteidiger-Backups lässt sich im Training nur schwierig elf gegen elf trainieren.

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