Gegen Mitternacht durfte aus dem Max-Morlock-Stadion niemand mehr raus. Nach dem stimmungsvollen Auftakt der EM-Testspiele warnte die Polizei plötzlich über Lautsprecher vor einer „konkreten Gefahrensituation im Außenbereich des Stadions“, selbst die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann musste nach dem 0:0 gegen die Ukraine in der Arena verharren. Erst eine Viertelstunde später gab es Entwarnung. „Unsere Einsatzkräfte konnten die Situation aufklären. Es bestand keine Gefahr“, hieß es in einer Polizei-Durchsage.
Und doch macht der Zwischenfall die sensible Lage gut eine Woche vor EM-Start mehr als deutlich, beim Thema Sicherheit herrscht höchste Alarmstufe. Die Sicherheitslage sei „angespannt“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Nachdruck auf der Bundespressekonferenz. Auch wenn es derzeit „keine konkreten Gefährdungshinweise“ gebe, seien die Sicherheitsbehörden auf einen „großen Kraftakt“ vorbereitet. Klar sei, dass es „100-prozentige Sicherheit nicht geben“ könne.
Rund zwölf Millionen Fans aus ganz Europa werden in den kommenden Wochen erwartet. Sicherheit habe „höchste Priorität“, kündigte Olaf Scholz unlängst an. Der Bundeskanzler hatte wenige Minuten vor der Warnlage von Nürnberg die Nationalmannschaft in der Kabine besucht, war bei Ausrufen der Ausgangssperre aber bereits abgereist. Die Polizei habe die Lage zunächst „sehr ernst“ genommen, teilten die Behörden mit.
Nicht erst seit diesem Zwischenfall gehen die deutschen Sicherheitsbehörden für die EM von einer komplexen Bedrohungslage aus. Der Fokus reiche „von der Bedrohung durch islamistischen Terror, über Hooligans und andere Gewalttäter bis hin zu Cyberangriffen“, erklärte Faeser. Abwehr und Bekämpfung aller „denkbaren Gefahren“ stünden „an erster Stelle“. Die „angespannte politische Lage“ mit den Kriegen in der Ukraine und in Nahost bringe „viele Herausforderungen mit sich“.
Die Polizei werde an allen Spielorten und überall, wo sich viele Menschen bewegen, „hohe Präsenz“ zeigen. „Wir sind sehr wachsam“, betonte Faeser, es solle „ein friedliches Fußballfest“ geben. Allerdings sei die Gefahr „abstrakt hoch. Wir nehmen sie ernst, damit abstrakt nicht konkret wird“, ergänzte NRW-Innenminister Herbert Reul: „Wir sind bestmöglich vorbereitet. Aber 100 Prozent garantieren kann man es nicht. Das geht nicht.“
Rund 350 Einsatzkräfte der Polizei aus den europäischen Teilnehmerländern werden die deutschen Beamtinnen und Beamten unterstützen, insbesondere mit Frankreich gibt es eine enge Kooperation. Ein zentrales Polizei-Lagezentrum von Bund und Ländern wird es in Neuss geben. In dem sogenannten „International Police Cooperation Center“ (IPCC) laufen auf 500 Quadratmetern während des Turniers (14. Juni bis 14. Juli) alle Fäden der Sicherheitsbehörden zusammen.
Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte vor den „Schattenseiten“ eines solchen Heimturniers gewarnt. „Auch Hooligans und Krawalltouristen werden sich auf den Weg nach Deutschland machen“, mutmaßte der FDP-Politiker in der „Bild am Sonntag“. Nicht nur deshalb bekräftigte Faeser am Dienstag nochmals ihre Pläne, für die Zeit der Europameisterschaft an allen deutschen Grenzen vorübergehend wieder Grenzkontrollen einzuführen.
Sie wünsche sich ein weiteres „Sommermärchen“, betonte die Innenministerin. Der Vorfall von Nürnberg dürfte die Sinne der Sicherheitsbehörden nochmals geschärft haben. Auch wenn der Auslöser am Ende nur ein herrenloser Koffer war.