Endstation Madrid? Bayern München kann sich seinen Wembley-Traum nur noch mit einem kleinen Fußball-Wunder erfüllen. Die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel biss sich an Europacup-Monster Real Madrid mit einem überragenden Toni Kroos die Zähne aus, erkämpfte sich im Halbfinal-Hinspiel der Champions League aber immerhin ein 2:2 (0:1). Dennoch: Im Rückspiel am 8. Mai im Fußball-Tempel Santiago Bernabéu muss ein Sieg her, um die große Hoffnung auf das Endspiel am 1. Juni in London doch noch zu erfüllen – notfalls im Elfmeterschießen.
„Es war im Großen und Ganzen ordentlich von uns. Wenn man im Halbfinale ist, will man auch ins Finale“, sagte Münchens Konrad Laimer bei Prime Video: „Wir hatten richtig viele Chancen, waren ein paar Mal zu unsauber. Sie hatten gefühlt drei Chancen und machen zwei Tore.“ Und Reals überragender Kroos betonte: „Komischerweise sind die Tore gefühlt gefallen, wenn die andere Mannschaft besser war.“ Das Remis sei einigermaßen leistungsgerecht und: „Wir sind einigermaßen überzeugt, dass wir zu Hause weiterkommen.“
Der frühere Münchner Kroos, Dreh- und Angelpunkt bei Real, bereitete das 0:1 durch Vinicius Junior (24.) nach einem Gedankenblitz als „Steilpass-Toni“ vor. Doch die Münchner bewiesen vor 75.000 begeisterten Fans Moral: Der rechtzeitig genesene Leroy Sané glich mit seinem ersten Pflichtspieltreffer nach sechs Monaten aus (53.). Als Toptorjäger Harry Kane kurz darauf (57.) einen an Jamal Musiala verschuldeten Foulelfmeter zu seinem 43. Saisontor nutzte, stand die Arena endgültig Kopf. Doch erneut Vinicius Junior (83., Foulelfmeter) zog mit dem Ausgleich doch noch den Stecker.
„Sie haben mit uns gemacht, was sie mit allen machen: aus zwei Torchancen zwei Tore. Deshalb fühlt es sich jetzt ein bisschen komisch an“, sagte Bayern-Coach Thomas Tuchel. „Aber die Ausgangslage ist jetzt im Grunde glasklar. Jetzt brauchen wir nicht überlegen“, betonte er: „90 Minuten, 120 Minuten, Elfmeterschießen. Sieg in Madrid und weiter nach Wembley.“
Vor dem Anpfiff huldigte die Südkurve einmal mehr ihrem „Kaiser“ Franz Beckenbauer. „Als Dirigent auf dem Feld, bekannt in der ganzen Welt!“, stand auf einem riesigen Banner. Doch auf dem Rasen regierte lange Kapellmeister Kroos in der 27. Auflage der „Mutter“ aller Königsklassen-Klassiker. Manuel Neuer verhinderte gegen den DFB-Rückkehrer das 0:2 (51.).
Die Einstellung stimmte bei den Bayern – dank Tuchel, wie Sportvorstand Max Eberl betonte: Dessen Ansprache sei „sehr auf den Punkt“ gewesen. Die Mannschaft, betonte Eberl, müsse „den Respekt vor dem königlichen Wappen ablegen“ – doch der schien anfangs gar nicht vorhanden. „Wir haben das Gefühl, dass wir ihnen wehtun können“, sagte Tuchel. Und so spielte seine Elf. Sané, wie Musiala nach Tuchels „Last-Minute-Entscheidung“ in der Startelf, gab nach nur 40 Sekunden den ersten gefährlichen Schuss ab.
Real mit Abwehrchef Antonio Rüdiger hielt Höflichkeitsabstand, die Münchner kamen zu Chancen fast im Minutentakt. Tuchel schien dennoch unzufrieden, griff immer wieder korrigierend ein, haderte. Kollege Carlo Ancelotti folgte dem Geschehen stoisch, meist mit den Händen in den Hosentaschen. Er ahnte wohl, was kommen würde.
Min-Jae Kim, der den verletzten Matthijs de Ligt vertrat, ließ sich aus dem Zentrum locken und nach einem Zuckerpass von Kroos lief Vinicius alleine auf den zu zögerlichen Neuer zu: Der Brasilianer traf aus elf Metern eiskalt. „Toni hat einen offenen Ball. Da gibt es eine Regel für die Abwehr: Nicht locken lassen!“, sagte Experte Matthias Sammer bei Prime Video über den Lapsus.
Jetzt war ein Bruch im Münchner Spiel, nur Kane kam dem Ausgleich per Freistoß (42.) vor der Pause nahe. Tuchel reagierte in der Pause, brachte den spielstärkeren Raphaël Guerreiro für Goretzka. Sané rückte erstmal auf die rechte Seite, Musiala versuchte sich über rechts. Die Devise war klar: Mindestens der Ausgleichstreffer musste her. Doch wäre Kroos (51.) beinahe der zweite Treffer der Gäste gelungen. Mit einer Glanztat parierte Auswahlkollege Manuel Neuer aber den Schlenzer des deutschen Real-Antreibers.
Und dann passierte es auf Gegenseite und vorbei war es auf einmal mit der Real-Ruhe: Sané setzte sich durch und zog wie einst Robben, der als Experte gebannt das Spiel vor Ort verfolgte, mit links ab und traf ins kurze Eck. Sein erstes Tor seit und sechs Monaten. Doch damit nicht genug, Musiala wurde nur kurz später im Strafraum gefoult. Elfmeter. Eine Sache für Kane.
Kane verpasste das Tor zum 3:1 um Zentimeter (66.), mit einem Kopfball scheiterte Eric Dier Sekunden danach an Lunin. Ancelotti versuchte an alter Wirkungsstätte, der umkämpften Partie eine abermalige Wendung zu geben: Er nahm Kroos sowie den eher unauffälligen Ex-Dortmunder Jude Bellingham runter (76.) und brachte unter anderem Routinier Luka Modrić. Doch die Bayern stemmten sich mit vollem Einsatz gegen den Ausgleich – wie Neuer gegen Vinicius (79.). Dann nutzte Vinicius Junior die Chance vom Elfmeterpunkt nach einem Foul von Kim an Rodrygo eiskalt.