Niclas Füllkrug sank überglücklich zu Boden, die Südkurve stimmte „Oh, wie ist das schön“ an, Bier flog durch die Luft: In einer magischen schwarz-gelben Nacht hat sich Borussia Dortmund zurück in den Hochadel des europäischen Fußballs gezaubert. Mit der Kraft der Gelben Wand rang der BVB Atlético Madrid unwiderstehlich 4:2 (2:0) nieder und zog in einem Achterbahn-Drama erstmals seit 2013 ins Champions-League-Halbfinale ein.
„Das ist ein stolzer Tag für alle Borussen, das war eine Achterbahnfahrt. Riesenkompliment an die Mannschaft“, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke bei Prime Video: „So zurückzukommen, das muss man erstmal schaffen.“ Nun reift sogar der Traum vom neuerlichen Endspiel in Wembley. „Wenn man im Halbfinale ist, ist es nur noch ein Schritt. Das nehmen wir jetzt an“, sagte Watzke.
Auf dem Weg ins Endspiel wartet Paris St. Germain, gegen den französischen Meister war der BVB in den Gruppenspielen (1:1, 0:2) ohne Sieg geblieben. PSG gewann am Dienstag beim FC Barcelona nach Rückstand spektakulär mit 4:1 und machte das 2:3 aus dem Hinspiel wett.
Der überragende Julian Brandt (34.) zündete das ausverkaufte BVB-Stadion mit seinem Führungstor an, spätestens beim 2:0 durch Ian Maatsen (39.) kochte die Stimmung der 81.365 Zuschauer über. Ganz im Gegensatz zum 1:2 im Hinspiel am vergangenen Mittwoch war der BVB von der ersten Minute an präsent und dominant, er musste allerdings mit einem Eigentor durch Mats Hummels (49.) einen Stimmungsdämpfer hinnehmen. Angel Correa gelang sogar der Ausgleich (64.).
Zu umjubelten Europapokal-Helden wurden dann aber Niclas Füllkrug (71.) und Marcel Sabitzer (74.). Damit erscheint sogar eine Wiederholung des „German Endspiels“ in London von 2013 gegen Bayern München möglich – damals unterlag der BVB mit 1:2.
Die Magie der gefürchteten Südtribüne sollte den BVB einen weiteren Schritt tragen. „Ich weiß, was dieses Stadion mit der Mannschaft machen kann. Wir haben hier einige magische Nächte erlebt“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl vor dem Anstoß bei Prime Video. Trainer Edin Terzić verlangte „Helden in Schwarz-Gelb“.
Donyell Malen, das war klar, würde nicht dazugehören: Der niederländische Außenstürmer fiel erneut verletzt aus. Dadurch bekam Karim Adeyemi trotz seiner unnötigen Gelb-Roten Karte in der Liga bei Borussia Mönchengladbach (2:1) eine weitere Chance. Füllkrug stürmte in Abwesenheit des verletzten Sebastien Haller. Bei Atletico fehlte Hinspiel-Torschütze Samuel Lino wegen einer Sperre.
Das Spiel begann in prickelnder Atmosphäre turbulent – und mit zwei gewaltigen Chancen. Marcel Sabitzer nahm den Ball nach einem Konter fünf Meter vor dem Atletico-Tor an, anstatt ihn einzuschieben, dadurch wurde er noch abgegrätscht (3.). Auf der Gegenseite lief Álvaro Morata von der Mittellinie aus auf das BVB-Tor zu, lupfte den Ball aber knapp vorbei (5.).
Dadurch bemerkten beide Mannschaften, welcher Gefahr sie sich mit zu hohem Risiko aussetzen würden, sie zogen sich für einige Minuten zurück. Allerdings setzte sich der BVB weiterhin bestens über die Außen durch und drängte über Julian Brandt (16.) und Adeyemi (17.) auf die Führung. Atletico, ungewohnt in blau-weiß, wurde stets dann gefährlich, wenn der BVB unpräzise aufbaute.
Der Führungstreffer, vor dem Brandt den früheren BVB-Profi Axel Witsel narrte, war dennoch absolut verdient. Maatsens Flachschuss von halblinks ließ die Fans träumen, Atletico wirkte schockiert – der wütende Trainer Diego Simeone strafte seine Spieler mit einem Dreifach-Wechsel ab. Für die Dortmunder ging es denkbar bitter weiter, als Hummels einen Kopfball von Mario Hermoso mit dem Fuß ins eigene Tor lenkte. Gregor Kobel war machtlos, der BVB wankte, die Gäste spielten wie aufgezogen: Correa schob den Ball aber (noch) knapp neben das Tor (57.). Nach einer Kobel-Glanzparade machte er es wenig später besser.
Der BVB schüttelte sich, er spielte spektakulär nach vorne. Füllkrug beendete seine Torflaute mit einem perfekten Kopfball an den Innenpfosten, Sabitzer legte einen platzierten Linksschuss nach – im Stadion brach Ekstase aus. Für den BVB geht es im Vollwaschgang weiter. Am Sonntag stellt sich der neue deutsche Meister Bayer Leverkusen in Dortmund vor, es folgt das „Endspiel“ um die erneute Teilnahme an der Königsklasse beim Tabellennachbarn RB Leipzig.