Montag, 25.November 2024 | 12:28

Unbesiegt zur Meisterschaft: Bayer 04 Leverkusen entthront den FC Bayern

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Die Vorlagen des FC Bayern und des VfB Stuttgart waren nur ein Akt der Höflichkeit. Durch die Siege der letzten beiden Titel-„Konkurrenten“ in der Bundesliga gegen den 1. FC Köln (2:0) und Eintracht Frankfurt (3:0) um die Deutsche Fußball-Meisterschaft am Samstag war es Bayer 04 Leverkusen möglich, den Premieren-Triumph auf aktive und schönste Weise einzufahren.

In rotschwarzer Dienstkleidung statt in chilligen Couchklamotten. Mit einem rauschhaften Festakt vor eigenem Publikum gegen Werder Bremen, eingeleitet von einem rotschwarzen Pyro-Spalier des Mannschaftsbus‘ bei der Fahrt zum Stadion. Der 5:0-Erfolg gegen die chancenlosen Gäste, die Ende Januar den FC Bayern in der Münchner Allianz Arena blamiert hatten, presste noch einmal eindrucksvoll in 90 Minuten alle Gründe, warum die Mannschaft von Xabi Alonso völlig verdient Deutscher Meister ist.

Nichts und niemand war mehr zu halten gewesen, als Schiedsrichter Harm Osmers um 19.20 Uhr pünktlich abgepfiffen hatte. Warum den Ausbruch der Emotionen noch künstlich im Wartestand zu verlängern? Zu klar waren die Dinge in der stimmungsvollen BayArena gewesen, in der sich die Fans spätestens nach dem durch Granit Xhaka in der 60. Minute in Ekstase sangen, zuvor hatte Victor Boniface per Elfmeter getroffen (25.), später legte Florna Wirtz (68.) noch dreimal (83./90.) nach. Die Fans fluteten den Rasen. Mittendrin ihre neuen Helden: Florian Wirtz, der kleine Magier, der das Spiel der Bayer-Elf auf ein neues Niveau gehoben hatte. Xhaka und Robert Andrich, die beiden Mentalitätsmonster aus dem Zentrum. Oder Abwehrchef Jonathan Tah, der mit 16 Jahren als bester Nachwuchsfußballer Deutschlands ausgezeichnet wurde und nun im Alter von 28 Jahren endlich so stark und konstant spielt, wie man es schon lange von ihm erwartet hatte.

Diese Bayer-Elf, sie hat so wahnsinnig viele Geschichte zu erzählen, dass sie eigentlich gar nicht in eine Saison passen. Schon häufiger hatte es Mannschaften unter dem Bayerkreuz gegeben, die die Menschen mit ihrem Spiel mitreißen konnten. Aber noch nie hatte es an diesem Standort ein Team gegeben, dass der Perfektion so nah war und bleibt. Noch immer ist Leverkusen in dieser Saison ohne Niederlage. 43 Gegner (manche zweimal) haben sich vergeblich daran versucht, dieses Team zu besiegen. Alle vergeblich. Am 34. Spieltag war es der VfL Bochum, der gegen Bayer drei Punkte einfuhr. Am 33. Spieltag sehen sich beide Mannschaft wieder. Nach der Meisterschaft können noch der Pokalsieg und der Triumph in der Europa League hinzukommen. Aber wie konnte das passieren?

Man kann es sich einfach machen: Der FC Bayern schwächelt, hat sich in dieser Saison zu oft selbst verloren und steht vor einem großen Umbruch. Diese Schwäche hat Bayer ausgenutzt. Und weil mit Borussia Dortmund ein zweiter großer Herausforderer in dieser Spielzeit ausgefallen ist, war der Weg zum Titel frei. Natürlich ist das ein Teil der Wahrheit. Aber diese Verzwergung auf die Krisen-Konkurrenten würde dem Meisterstück von Trainer Xabi Alonso, von Sportchef Simon Rolfes und dieser perfekt funktionierenden Mannschaft nicht gerecht.

Über mehrere Transferphasen hinweg ist dieses Bayer-Team gewachsen. Der Verein konnte dabei auch seinen Wettbewerbsvorteil nach der Corona-Zeit ausspielen. Mit dem Konzern im Rücken ließen sich die Belastungen der Pandemie besser ertragen als an manch anderem Bundesliga-Standort. Der Königstransfer war Alonso. Im Oktober 2022 kam der Spanier, der zuvor lediglich im Jugendbereich von Real Madrid als Trainer unterwegs war und die zweite Mannschaft von Real Sociedad gecoacht hatte, von jenem Verein in seiner baskischen Heimat, bei dem er Profi geworden war, nach Leverkusen und löste dort den zunehmend glücklosen Gerardo Seoane ab.

Es brauchte allerdings eine Zeit, die sich seine Ideen verfingen. Zum Start gab es ein 4:0 gegen das absurd schwache Schalke 04. Danach folgten sechs Spiele ohne Sieg, darunter deutliche Pleiten in der Champions League gegen den FC Porto (0:3) und in der Bundesliga bei Eintracht Frankfurt (1:5). Alonso verpasste der Mannschaft im laufenden Spielbetrieb ein neues System. Stellte von Vierer- auf Dreierkette um. Eine riskante Idee, die aber zu einer Erfolgsgeschichte wurde. Der Spanier kitzelte das Potenzial aus Tah, aus Edmond Tapsoba, aus Piero Hincapie und Odilon Kossounou heraus, die in verschiedenen Besetzungen die letzte Kette bildeten.

Alonso führte die Mannschaft aus dem Tabellenkeller, 17. nach dem 8. Spieltag (nur der VfL Bochum war noch schlechter), in die Europa League. Am letzten Spieltag der vergangenen Saison noch mit Glück, als Bayer selbst in Bochum verlor (die letzte Niederlage dieser Mannschaft) und sich Konkurrent VfL Wolfsburg zuhause gegen den Tabellenletzten Hertha BSC blamierte. Doch Platz sechs war nur eine kurze Zwischenstation auf dem Weg nach oben. Der erste Transfersommer, den Sportchef Rolfes und Alonso gemeinsam bestritten, war eine der größten Erfolgsgeschichten der jüngeren Bundesliga-Geschichte: Victor Boniface kam, Alejandro Grimaldo, Xhaka, DFB-Spieler Jonas Hofmann und Nathan Tella. Das sind die spektakulärsten Deals. Sie alle waren Volltreffer. Stürmer Boniface war bis zu seiner Verletzung nicht aufzuhalten. In bester Haaland-Manier büffelte er sich durch die gegnerischen Reihen. Grimaldo ist ein genialer Zauberfuß, der nicht mal Ablöse kostete. Xhaka ist der Anführer, unerschütterlich und mit einer beeindruckenden Gewinnermentalität gesegnet.

Das Orchester auf dem Feld spielte die schönste Melodie der Saison. Und ihr Dirigent ist Xabi Alonso. Dem gelang es die Soloparts auf viele Füße zu verteilen. Die erste Geige spielte dabei ein nur 177 Zentimeter großer 20-Jähriger: Florian Wirtz. Mit Spielwitz, Schnelligkeit und Übersicht – und natürlich mit acht Toren und zehn Vorlagen in 28 Liga-Partien (jeweils drei Tore und vier Vorlagen in sieben Spielen in der Europa League und in fünf DFB-Pokalpartien) – lenkte der offensive Mittelfeldspieler die Werkself so beeindruckend, dass nun bereits viele Hoffnungen für die Heim-EM auf dem Youngster ruhen.

Und wer gerade nicht groß aufspielen durfte, der ordnete sich klaglos ein. Das galt in dieser Saison lange auch für Andrich, dem neuen Bodyguard von Toni Kroos in der deutschen Nationalmannschaft. Oder auch für Jonas Hofmann, der von Borussia Mönchengladbach kam, groß aufspielte im Dreieck mit Wirtz und Boniface, dann aber zunehmend vom formstarken Amine Adli verdrängt worden war. Öffentliches Gemurre war nicht wahrzunehmen. Nicht vom DFB-Spieler Hofmann und auch nicht von anderen Stars, die weichen mussten, weil ein anderer bessere Form nachwies. Undiszipliniertheiten wie an anderen Bundesliga-Standorten gab es nicht. Gut, im Erfolg ist vieles einfacher.

Außerdem ist diese Mannschaft mit einer unglaublichen Moral ausgestattet. Sie hat den Last-Minute-Wahnsinn kultiviert. Das, was einst der Bayern-Dusel war, wurde Anfang dieses Jahr umgelabelt. Spätestens im Achtelfinale der Europa League, als Qarabag Agdam mit zwei Toren in der Nachspielzeit niedergerungen wurde. Auch gegen West Ham ließ sich die Werkself nicht aus dem Konzept bringen, bewies Geduld bis zum Schluss und traf zweimal spät. So machen das echte Spitzenteams: Ruhe bewahren, beim Matchplan bleiben, bis zur letzten Sekunde auf die Chance lauern – und dann eiskalt zuschlagen.

Vize-Meister 1997, 1999, 2000, 2002 und 2011: Der erste Meistertitel für Leverkusen ist auch eine Erlösung. Die Befreiung vom Trauma des gefühlt ewigen Zweiten. Des tragischen Zweiten. „Vizekusen“ wurde die Werkself nach den dramatischen Saison-Finals 2000 und 2002 getauft, als man zunächst als Tabellenführer nicht das nötige Remis gegen Unterhaching und anschließend Meisterschaft, Champions League und DFB-Pokal auf den letzten Metern verspielte. Selbst ins Ausland schaffte es der englische Begriff „Neverkusen“.

Der Meistertitel macht dem unbeliebten Spitznamen nun den Gar aus. Trauma und Schmach mutieren in ein triumphales, neues Kapitel. Wunderschöner Fußball, unglaubliche Siegermentalität und unbändiger Jubel statt versagende Nerven und Frust: Nachdem sich Bayers legendärer Coach Christoph Daum 2000 wie „unter einer Lawine begraben“ fühlte, strahlt Xabi Alonso heute von ganz oben auf der Bergspitze. Der Erfolgstrainer wurde nicht nur vom FC Bayern umworben, auch dem FC Liverpool und für kurze Zeit Real Madrid wurde Interesse nachgesagt, doch er bleibt in Leverkusen.

Jetzt möchten Alonsos Männer „Vizekusen“ sogar in „Triplekusen“ umformatieren. Im DFB-Pokalfinale wartet mit dem Zweitligisten Kaiserslautern eine machbare Aufgabe, in der Europa League hat man mit dem 2:0 über West Ham United bereits einen Fuß im Halbfinale. Wer die Werkself in diesem Jahr auch nur einmal beobachtet hat, der weiß, dass sie nach der Meisterschale noch lange nicht genug hat und für die beiden anderen mögliche Trophäen alles reinhauen wird. Jeder brennt für Alonso, jeder brennt für jeden, alle brennen für den maximalen Erfolg.

Schließlich ist da noch die Sache mit der ungeschlagenen Bundesliga-Saison. Es wäre ein Fabel-Rekord, das hat noch keine deutsche Mannschaft geschafft. Nicht mal Bayern München. Man werde auch nach dem Titel nicht nachlassen, hatte unter der Woche Keeper Lukas Hradecky angekündigt, „weil wir etwas noch Besondereres als die Meisterschaft schaffen wollen: Die Liga ohne Niederlage beenden.“ Nach dem Meister-Sieg gegen Bremen hat Bayer bereits die europäische Bestmarke seit der Jahrtausendwende von Juventus Turin aus den Jahren 2011 bis 2012 (43) eingestellt.

Die Unbesiegbaren. Die neue deutsche Fußball-Perfektion. Alonso, Wirtz und Co. haben ein Jahr lang die Bundesliga verzaubert und dominiert wie selten eine Mannschaft vor ihnen. Der erste Meistertitel von Bayer Leverkusen ist so verdient wie beeindruckend.

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