Deutschland schwebt völlig losgelöst Richtung EM. Die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann schürte nach dem Coup in Frankreich durch das 2:1 (1:1) im Klassiker gegen den Erzrivalen Niederlande weitere Euphorie für das Heim-Turnier. Bei der Party in Pink drehten Maximilian Mittelstädt mit seinem Premieren-Traumtor (11.) und Joker Niclas Füllkrug (85.) nach dem Rückstand durch Joey Veerman (4.) die Begegnung. 80 Tage vor dem Eröffnungsspiel gegen Schottland wächst die vor wenigen Wochen kaum für möglich gehaltene Vorfreude. „Ich bin stolz auf die Mannschaft. Sie kommt aus einer schweren Zeit. Wir haben den Schwung und das Selbstvertrauen gut mitgenommen“, sagte Toni Kroos bei RTL.
Nagelsmann vertraute in Frankfurt/Main der erfolgreichen Startformation aus dem Frankreich-Spiel (2:0). „Wir versuchen, die erste Elf sich ein bisschen einspielen zu lassen“, begründete der 36-Jährige die ausbleibenden Wechsel kurz vor dem Anpfiff bei RTL. Im Gegensatz zum Blitzstart von Lyon ging der Schuss nach einem Fehler von Mittelstädt diesmal nach hinten los. Der Rückpass des Stuttgarters auf Jonathan Tah geriet zu kurz, Memphis Depay spritzte dazwischen und bediente nach 193 Sekunden mit viel Übersicht den Torschützen Veerman.
Der viermalige Weltmeister schüttelte sich in seinen neuen pink-lila Trikots kurz – und schlug sehenswert zurück. Nach einer kurz ausgeführten Ecke traf Mittelstädt aus 17 Metern mit seinem starken linken Fuß unter die Latte. Die Stadionregie ließ danach zur Begeisterung der Fans den 80er-Jahre-Welthit „Major Tom“ von Peter Schilling ertönen, der DFB gab damit dem Wunsch der Anhänger nach. Bei der Europameisterschaft plant die UEFA allerdings, für alle Teams identische Tor-Jingles aus dem offiziellen EM-Song zu spielen.
Der schnelle Ausgleich tat dem dreimaligen Europameister sichtlich gut. Kombinationsstark und ballsicher legte sich die DFB-Auswahl den Gegner zurecht. Jamal Musiala und Florian Wirtz versprühten trotz einiger Standprobleme auf dem rutschigen Rasen wieder enorme Spielfreude. Musiala bediente mit viel Übersicht İlkay Gündoğan, doch der Kapitän scheiterte in seinem 75. Länderspiel am niederländischen Schlussmann Bart Verbruggen (18.).
Die Fans in Frankfurt hatten ihren Spaß. La-Ola kreiste frühzeitig durch die mit 48.590 Zuschauern ausverkaufte Arena, Nagelsmann wirkte an der Seitenlinie zufrieden, auch wenn er Joshua Kimmich zwecks Nachjustierung zu sich rief. In der Fünferkette des Europameisters von 1988 fanden die Gastgeber aber nicht viele Lücken. Im defensiven Mittelfeld gab Tono Kroos erneut den ballsicheren Taktgeber, eine Art Quarterback, der sich von der Manndeckung durch Tijjani Reijnders immer wieder befreien konnte.
In Frankreich hatten sich der DFB-Offensive viel mehr Räume geboten, diesmal hing Stürmer Kai Havertz etwas in der Luft. Die Gäste setzten offensiv immer mal wieder Nadelstiche. Nach einem Freistoß suchte der Münchner Matthijs de Ligt per Kopf den Dortmunder Donyell Malen, Gündoğan rettete in höchster Not (33.).
Die DFB-Elf kam auch nach dem Wechsel nur schwer in die Gänge. Antonio Rüdiger klärte gerade noch vor Depay und schimpfte danach mit dem ab und an orientierungslos wirkenden Mittelstädt (49.). Mit Malens wuchtigem Schuss hatte Marc-André ter Stegen keine Probleme (50.). Die Stabilität des deutschen Teams wurde in dieser Phase auf die Probe gestellt. Ein Freistoß des Ex-Münchners Daley Blind aus guter Position flog aber über das Tor (54.). Die Niederländer hatten allerdings nun mehr Ballbesitz und fanden auf der linken Abwehrseite von Mittelstädt einige Räume.
Nagelsmann reagierte nach knapp einer Stunde mit einem Doppelwechsel. Chris Führich und Pascal Groß ersetzten Gündoğan und Andrich, die nächste große Chance hatte aber Depay (61.). Später bekamen auch Thomas Müller und Füllkrug ihre Chance, Wirtz und Havertz verließen den Platz. Musiala (76.) und Müller (83.) scheiterten danach am stark reagierenden Verbruggen – dann bejubelte Füllkrug nach einer Ecke von Kroos sein elftes Tor im 15. Länderspiel.
Vor dem Anpfiff wurde zu Ehren der gestorbenen Weltmeister Franz Beckenbauer und Andreas Brehme eine Schweigeminute abgehalten. Rudi Völler war davon besonders berührt. Kurz davor hatte der DFB-Sportdirektor über das Stadionmikrofon den Fans versprochen: „Wir wollen den Schwung mitnehmen und nachlegen.“