Die Schockwellen des Erdbebens im deutschen Fußball erreichten Gesundheitsminister Karl Lauterbach um 21.24 Uhr.
Er musste sich äußern, derart groß war die Freude des 60-jährigen Politikers über das 3:0 (1:0) von Bayer Leverkusen über den FC Bayern. Und so ließ er über X seine Follower an seinen Gefühlen teilhaben. „Bayer 04 kommt der Meisterschaft immer näher, großartiger verdienter Sieg, Top Spiel“, schrieb er. „Die Ära Bayern München geht hoffentlich dem Ende zu. Die Meisterschaft in Teil 1 meines Wahlkreises, Leverkusen, und den Klassenerhalt in Teil 2, Köln, das muss das Ziel sein.“
Lauterbach ist, das muss man wissen, natürlich befangen. Der aus Düren stammende Politiker ist seit 2005 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter in eben jenem Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mühlheim. Er hat sich bereits weit vor der nun an diesem Samstag in der BayArena eingeleiteten Zeitenwende im deutschen Fußball als Anhänger der Werkself verortet und hatte somit noch nie etwas zu feiern. Zumindest in der Meisterschaft, in der Leverkusen ja spätestens seit den ersten Jahren dieses Jahrtausends das Image des ewigen Verlierers nachhängt. Den Namen „Vizekusen“ haben sie sich gar patentieren lassen.
Alles anders in 2024? Noch ist nichts entschieden, aber, glaubt man den englischen Medien könnte es wirklich was werden mit dem Ende der Bayern Dominanz, mit dem Ende der Ära des FC Bayern. Denn die hatten nach dem Coup der Leverkusener fast nur ein Thema. Und auch das hatte etwas mit einem ewigen Verlierer zu tun, oder zumindest mit einem, der nie etwas gewinnen kann.
„Noch mehr Schmerz für Kane“, schrieb die britische „Daily Mail“. Sie sezierte den unheimlichen Titelfluch des Superstars. „Als Harry Kane sich im Sommer von Tottenham trennte, war eigentlich klar, dass seine Jagd nach einem Titel endlich ein Ende haben würde. Der FC Bayern gewinnt immer die Bundesliga und jetzt noch den Kapitän der englischen Nationalmannschaft für 100 Millionen Pfund verpflichtet. Was konnte da schon schieflaufen? Nun: Jetzt läuft es gerade auf jeden Fall sehr schief.“
Kane hatte am Samstag überhaupt nicht ins Spiel gefunden. Seine imposanten 24 Treffer in nur 21 Bundesliga-Spielen könnte am Ende der Saison wertlos sein. So war es wenig verwunderlich, dass auch „The Sun“ Bezug auf den Stolz der Three Lions nahm. „Kane Pain“ titelte sie und verkündete nüchtern: „So bleibt Harry Kane ohne Trophäe. Die Gastgeber haben fünf Punkte Vorsprung.“ Der „Guardian“ hingegen blickte auf das große Bild und schrieb: „Dies war nicht nur eine Niederlage, sondern eine Demütigung. Dies waren nicht nur drei wichtige Punkte im Titelrennen, sondern ein Angriff auf die Identität der Bayern selbst.“
Gesundheitsminister Lauterbach dürfte sich jedoch noch viel mehr über einen Blick in die spanische Presse gefreut haben. Dort feierte „Sport“ den Sieg der Leverkusener, schrieb von einem „historischen Tag in Deutschland“ und folgerte: „Deutschland kapituliert vor seinem neuen König.“ Der hört natürlich auf den Namen Xabi Alonso, ist der womöglich begehrteste Trainer Europas zurzeit und rennt mit seinen Leverkusener geradewegs auf einen bislang unmöglichen Rekord zu.
Noch nie hat eine Bundesliga-Mannschaft eine komplette Spielzeit ohne Niederlage überstanden. Noch sind es 13 Spiele für das Team des Supertrainers, der mit Bayer Leverkusen bisher 55 Punkte sammeln konnte. Ungeschlagen nach 21 Runden sind in der Geschichte der Bundesliga vor der derzeitigen Werkself überhaupt erst drei Mannschaften geblieben. Die Bayern hielten 2013/14 unter Pep Guardiola bislang am längsten durch, kassierten damals am 29. Spieltag beim 0:1 in Augsburg ihre erste von letztlich zwei Niederlagen. Die Bayern hatte es 1988/89 unter Trainer Heynckes am 24. Spieltag erwischt (1:2 in Mönchengladbach), es folgten zwei weitere Niederlagen – und wie 25 Jahre später zumindest der Meistertitel.
Und schließlich war es erneut Heynckes in der Saison 2009/10 – allerdings mit Leverkusen und nicht mit den Bayern. Bayer verlor damals am 25. Spieltag 2:3 in Nürnberg und noch vier weitere Male, gewann von den letzten zwölf Spielen überhaupt nur zwei und wurde lediglich Vierter. Das dürfte eine große Mahnung zur Demut sein. Auch für Gesundheitsminister Lauterbach. Bis es dann im Mai soweit ist, darf im Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mühlheim aber selbstverständlich weiter geträumt werden.