Die Zahl der Obdachlosen in Deutschland hat laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe drastisch zugenommen.
So waren im Verlauf des vergangenen Jahres zeitweise 607.000 Menschen wohnungslos. 2021 lag die Zahl noch bei 383.000. Dies ergibt einen Anstieg um 58 Prozent. Die Daten gehen aus aktuellen Hochrechnungen der BAG hervor. Bei den zum Stichtag ermittelten Wohnungslosen zeigt sich der Anstieg noch deutlicher: Während die BAG Ende Juni 2021 noch 268.000 obdachlose Menschen ermittelte, waren es zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr bereits 447.000. Damit stieg die Zahl der Obdachlosen zum Stichtag um 67 Prozent.
Dabei liegt der Anteil deutscher Obdachloser bei knapp einem Drittel, der Anteil nicht-deutscher bei über zwei Dritteln. Besonders auffällig wird der Unterschied beim Anstieg der Zahlen im vergangenen Jahr: Während die Zahl der obdachlosen Deutschen um lediglich fünf Prozent stieg, nahm die Zahl der nicht-deutschen Obdachlosen um 118 Prozent zu. Dies sei hauptsächlich auf die „enorme Zunahme der Zahl wohnungsloser Geflüchteter, ganz besonders aus der Ukraine, zurückzuführen“, schreibt das BAG. Insgesamt kommen die meisten Menschen ohne feste Wohnung aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und dem Irak.
Zudem sind den Daten zufolge rund ein Viertel aller wohnungslosen Personen noch im Kindes- oder Jugendalter. Auch hier zeigen sich deutliche Unterschiede: Von den deutschen Wohnungslosen ist etwa jede oder jeder Zehnte noch minderjährig – bei den nicht-deutschen ist es etwa jede oder jeder Dritte.
Insgesamt liegt der Zahl der männlichen Obdachlosen zum Stichtag etwas höher: 58 Prozent der Wohnungslosen sind Männer, 42 Prozent sind Frauen. Während der Geschlechterunterschied bei den deutschen Wohnungslosen deutlich ausgeprägter ist, ist das Verhältnis bei den nicht-deutschen Obdachlosen ausgeglichen.
Die meisten Menschen verloren ihre Wohnung der BAG zufolge aufgrund einer Kündigung. Andere wichtige Auslöser seien Miet- und Energieschulden. Aber auch Konflikte im Wohnumfeld sowie Trennung oder Scheidung spielen eine große Rolle. Besonders gefährdet, in die Obdachlosigkeit zu rutschen, seien einkommensarme Ein-Personen-Haushalte, Alleinerziehende und kinderreiche Paare, heißt es in dem Bericht.
Bei nicht-deutschen Obdachlosen gebe es vorrangig einen Grund für die Wohnungslosigkeit: „Der Hauptauslöser ist ihre Flucht“, schreibt das BAG. Demnach hatten die meisten dieser Menschen noch nie eine Wohnung in Deutschland.
Laut dem BAG heizt vor allem ein strukturelles Problem in Deutschland die Wohnungslosigkeit an. So sei der Anteil der verfügbaren Sozialwohnungen seit 1989 „dramatisch“ gesunken – nach Berechnungen der BAG um 62 Prozent. „Der fehlende bezahlbare Wohnraum ist und bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland: Deutsche wie nicht-deutsche Wohnungslose können daher nicht angemessen mit eigenem bedarfsgerechtem Wohnraum versorgt werden“, sagte Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.
Das Vorhaben der Bundesregierung zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit hält Rosenke für nicht ausreichend. „Mit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr – wie von der Ampelregierung versprochen – kann dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen nicht ausreichend entgegengesteuert werden. Zusätzlich zu den Sozialwohnungen werden weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen benötigt.“
Zudem genüge es nicht, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, um Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Oftmals seien wohnungslose Menschen Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt, mahnt Rosenke. „Nötig sind deshalb Bindungen und Quotierungen für Wohnungslose im Sozialwohnungsbestand sowie die gezielte Akquise von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft.“ Zudem plädiert die BAG-Chefin dafür, Notunterkünfte zu sanieren und in Sozialwohnungen umzuwandeln.