Die deutsche Handball-Nationalmannschaft kassiert die erste Niederlage bei der Weltmeisterschaft. Das Top-Team Norwegen ist letztlich etwas zu stark, muss gegen Deutschland aber alles zeigen. Jetzt wartet im Viertelfinale der Rekordweltmeister Frankreich.
Alfred Gislason vergrub die Hände in den Hosentaschen und schüttelte nach dem ersten WM-Dämpfer und dem verpassten Gruppensieg den Kopf. „Es ist wirklich schade. Wir hätten es mit einer besseren Wurfquote nach Hause fahren können“, sagte der Bundestrainer nach dem 26:28 (16:18) gegen den Turniermitfavoriten Norwegen.
Als der erste Frust verflogen war, richtete Gislason seine Handballer aber sofort wieder auf. Schon am Mittwochabend kommt es für den Viertelfinal-Kracher gegen Olympiasieger Frankreich: „Die Mannschaft hat einen Riesencharakter“, sagte Gislason, der aber zugab: „Ich hätte lieber gegen Spanien gespielt.“
Bester deutscher Werfer gegen Norwegen vor rund 4500 Zuschauern war einmal mehr Juri Knorr mit acht Toren. Doch insgesamt fehlte es der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) im sechsten WM-Spiel an Effizienz und Durchsetzungsvermögen, auch die Abwehr wirkte nicht so sattelfest wie zuletzt. Deutschland ging in der 52. Minute zwar erstmals in Führung (25:24), konnte diese aber nicht halten. „Natürlich tut diese Niederlage weh. Es nervt uns alle“, sagte Knorr: „Jetzt wollen wir aber zeigen, dass wir Charakter haben. Wir stehen wieder auf.“
Am Dienstagvormittag wird das deutsche Team seine Zelte in Kattowitz abbrechen und von Krakau aus nach Danzig fliegen. Dort geht es am Mittwochabend gegen den französischen Rekordweltmeister um den Einzug ins Halbfinale – und nicht wie erhofft gegen Spanien. „Spätestens morgen im Flieger werden wir Köpfe wieder aufrichten“, sagte Philipp Weber.
Obwohl auch die Norweger schon vorzeitig für die K.-o.-Runde qualifiziert waren, wollte Gislason am Montagabend von einem Testspielcharakter nichts wissen. Norwegen sei Favorit, sagte der 63-Jährige vor der Partie, aber „ich will unbedingt gewinnen. Denn die beste Vorbereitung aufs Viertelfinale ist Erfolg.“
Die Anfangsphase gehörte vor den Augen allerdings den Skandinaviern. Vor allem mit Superstar Sander Sagosen vom THW Kiel, einer von acht Bundesliga-Legionären bei den Norwegern, hatte die deutsche Deckung so ihre Probleme. 1:4 hieß es nach vier und 4:7 nach acht Minuten – auch weil Joel Birlehm, der zunächst für Stammkeeper Andreas Wolff ran durfte, keinen Ball zu fassen bekam.
Gislason reagierte und brachte Wolff. Der hielt vor den Augen von Fußball-Weltmeister Lukas Podolski gleich mal zwei Bälle, und so konnte Patrick Groetzki mit seinem 400. Länderspieltor auf 6:7 (10.) verkürzen. Norwegen blieb zwar am Drücker, doch Deutschland biss sich regelrecht in die Partie. Hinten hielt Wolff ein ums andere Mal spektakulär, vorne riss Knorr das Spiel an sich.
Der Spielmacher glänzte mit seinen ansatzlosen Schlagwürfen aus der zweiten Reihe, seinen schnörkellosen Abschlüssen und seiner enormen Spielübersicht. Von den ersten zwölf DHB-Treffern war Knorr an neun (!) direkt beteiligt: zwei Tore bereitete der 22-Jährige vor, seine sieben Würfe versenkte er allesamt.
Und doch ging das deutsche Team erstmals bei der WM mit einem Rückstand in die Kabine. „Es ist ein Spiel mit riesigem Tempo und riesigem Engagement auf beiden Seiten“, sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer zur Pause: „Wir hätten noch effektiver abschließen können.“
Die schwache Wurfausbeute blieb allerdings zunächst das große Problem. Wolff glänzte zwar weiterhin, doch vorn ließen Kapitän Johannes Golla und Co. beste Möglichkeiten liegen. Luca Witzke sah wegen groben Foulspiels die Rote Karte (54.).