Freitag, 20.September 2024 | 21:17

Gericht erläutert Urteil: Arbeitszeit muss ab sofort erfasst werden

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Jede zweite Überstunde wird nicht bezahlt. Das Bundesarbeitsgericht verpflichtet immerhin alle Arbeitgeber, die Arbeitszeiten zu protokollieren. Die Bundesregierung will sich nun beeilen, ihren Gesetzentwurf vorzulegen. Der wäre allerdings gar nicht nötig – die Pflicht gilt bereits.

Seitdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 13. September seinen Beschluss zur Arbeitszeiterfassung verkündet hatte, wurde bundesweit diskutiert und spekuliert. Nun haben die Erfurter Richter ihre schriftlichen Entscheidungsgründe veröffentlicht. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was bedeutet Arbeitszeiterfassung?

Der Europäische Gerichtshof (EUGH) in Luxemburg entschied 2019, dass Arbeitgeber Beginn und Ende der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten “erfassen” müssen. Gemeint ist also die vollständige Arbeitszeit. Eine Erfassung nur der Überstunden, wie sie in Deutschland bislang Pflicht war, reicht demnach nicht aus.

Welche Ziele hat die Arbeitszeiterfassung?

Nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit wurden im vergangenen Jahr 893 Millionen oder gut 52 Prozent aller Überstunden nicht vergütet. Der EUGH und nun auch das BAG verweisen zudem auf den Arbeitsschutz: Nur eine Erfassung der gesamten Arbeitszeit könne dazu führen, dass die bestehende Obergrenze von in der Regel 48 Wochenstunden eingehalten wird. BAG-Präsidentin Inken Gallner fasste es bei der mündlichen Urteilsverkündung wie folgt zusammen: Die Zeiterfassung sei auch ein “Schutz vor Fremd- und Selbstausbeutung”.

Muss die Abeitszeit nun sofort erfasst werden?

Ja, denn das BAG leitet die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus dem Arbeitsschutzgesetz ab, das entsprechend den EU-Vorgaben auszulegen sei. Eine Gesetzesänderung ist daher prinzipiell nicht nötig. Die Ampel-Parteien haben in ihrer Koalitionsvereinbarung dennoch eine Gesetzesinitiative angekündigt, um das EuGH-Urteil explizit umzusetzen. Darin würden dann wohl auch Strafen bei Verstößen festgeschrieben. Die Bundesregierung will die Urteilsbegründung nun prüfen. “Voraussichtlich im ersten Quartal 2023” werde das Arbeitsministerium dann einen “praxistauglichen Vorschlag für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung” per Gesetz machen, erklärte eine Sprecherin.

Kann es Ausnahmen geben?

Ja, “wegen besonderer Merkmale der ausgeübten Tätigkeit” sind laut BAG Ausnahmen möglich. Diese müssen aber gesetzlich bestimmt sein. In Deutschland gibt es solche Ausnahmen im Arbeitszeitgesetz insbesondere für leitende Angestellte und andere Führungskräfte.

Wie soll die Arbeitszeiterfassung erfolgen?

Das BAG hat hier keine Vorgaben gemacht. Elektronisch oder auf Papier – solange der Gesetzgeber keine Vorgaben macht, ist alles erlaubt. Betriebe können für verschiedene Beschäftigtengruppen auch unterschiedliche Formen wählen. Nur musss die Arbeitszeiterfassung tatsächlich erfolgen. Den Beschäftigten die Möglichkeit dafür anzubieten, reicht laut BAG nicht aus.

Was wird aus der sogenannten Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der Arbeitgeber die Zeiten nicht kontrolliert. Das bleibt nach dem BAG-Beschluss dergestalt möglich, dass betroffene Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten ohne Kontrolle selbst notieren. Eine Art von Erfassung muss es aber auch hier geben.

Welche Rolle spielen die Betriebsräte?

Sie haben ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen des Arbeitsschutzes. Nicht eindeutig ist das BAG jedoch bei der Frage, ob dies auch ein “Initiativrecht” umfasst. Nur dann könnten Betriebsräte Unternehmen dazu zwingen, mit der Arbeitszeiterfassung zu beginnen. Eine elektronische Arbeitszeiterfassung können Betriebsräte nicht verlangen und durchsetzen.

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