Donnerstag, 28.November 2024 | 20:47

Suaréz setzt DFB-Elf unter Druck: Costa Rica, der eiskalte Favoritenkiller

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Das Spiel der DFB-Elf gegen Costa Rica kann zu einem der größten Debakel der deutschen WM-Geschichte werden. Ein Sieg gegen die Mittelamerikaner ist Pflicht, sonst geht es nach der Vorrunde zurück in den deutschen Winter. „Das hätte enorme Folgen“, freut sich Costa Ricas sympathischer Trainer Suárez.

Luis Fernando Suárez beschwört den Ball. Seine Hände streichen über ihn. Der 62-jährige aus Medellín blickt in den Raum. „Der Ball vor mir“, sagt er, „ist keine Kristallkugel. Es ist komplizierter.“ Dabei ist es alles ganz einfach. Gewinnt Costa Rica, das Team, das Suárez aktuell trainiert, am Donnerstag im Beduinenzelt von Al-Khor gegen Deutschland, steht der kleine Staat aus Mittelamerika mal wieder in der K.-o.-Phase einer Fußballweltmeisterschaft. Spielen Deutschland und Costa Rica unentschieden, müssen die Mittelamerikaner für Spanien beten. Die sollten dann Japan schlagen. Auch das würde reichen.

Aber natürlich gehen in Katar alle davon aus, dass die DFB-Elf eine zu große Hürde für Costa Rica ist. Zumal die Mannschaft noch im ersten Spiel gegen Spanien mit 0:7 hoffnungslos unterging. „Es waren lange Flitterwochen“, sagt Suárez. „Und plötzlich sind diese Flitterwochen vorbei. In der Qualifikation war alles rosig. Und dann wurden wir geschlagen. Mit 7:0. Ich war überrascht, dass wir zurückgekommen sind.“ Nach der Pleite zum Auftakt glaubt kein Mensch mehr an Costa Rica. Außer die Menschen aus Costa Rica.

„Aus dieser Scheiße kommen wir raus“, sagte der erfahrene Verteidiger Celso Borges nach dem Spiel. Borges ist nach seiner Wanderschaft durch Europa mit 34 Jahren mittlerweile wieder zurück in Costa Rica. Er ist einer dieser alten Männer, für die dieses Turnier das letzte Highlight der Karriere ist. Er hat viel gesehen. Umso überraschender das 1:0 gegen Japan. Mit dem überhaupt ersten richtigen Torschuss bei diesem Turnier.

„Wir haben verloren, wir haben gewonnen. Ein Auf und Ab der Gefühle“, kommentiert Suárez. Aber bei den Gefühlen immerhin raus aus dieser Scheiße. Bei dieser WM hatten schon ganz andere Leute Gefühle, für die sie sich im Anschluss nicht mehr entschuldigt haben. Was zu der Fragen führen könnte, was Gianni Infantino heute eigentlich so macht. Der FIFA-Präsident ist nahezu abgetaucht, kaum mehr zu sehen. Zu viele Gefühle vielleicht.

Costa Rica kann Gianni Infantino egal sein. Ihr Sieg gegen Japan ist einer, der Druck von Deutschland nimmt, die gegen Spanien schon das Blitz-Aus bei der WM fürchten und plötzlich befreit aufspielen. Es ist aber auch ein Sieg, der in Costa Rica Erinnerungen an vergangene Turniere beschwört. 1990 in Italien, 2014 in Brasilien. Die großen Turniere. Die absoluten Außenseiter überstehen die Gruppenphase, werfen in Brasilien erst England und Italien, dann im Achtelfinale auch noch Griechenland aus dem Turnier. Torhüter Keylor Navas wird ein Weltstar. Und bleibt es bis heute. Gegen Frankreich scheitern sie im Elfmeterschießen. In Italien besiegen sie Schweden und Schottland, scheiden erst gegen die Tschechoslowakei aus. Bei diesen Turnieren steigen sie vom Underdog zu eiskalten Favoritenkillern auf. Sie lieben es, unterschätzt zu werden.

„Vielleicht liegt diese Geschichte jetzt in denen Genen der Menschen aus Costa Rica“, sagt Suárez. Wieder beschwört er den Fußball: „Wenn man in eine Finale kommt, dann können die Menschen aus Costa Rica etwas Besonderes machen. Und ich beziehe mich nicht nur auf 2014. Costa Rica hat viel erreicht.“ Am Donnerstag im Al-Bayt-Stadion können sie noch viel mehr erreichen, sie können die DFB-Elf in eine der schwersten Krise der Verbandsgeschichte schießen. Das zweite Vorrunden-Aus in Folge würde fundamentale Debatten in Deutschland auslösen, alles und jeden hinterfragen und somit natürlich auch Bundestrainer Hansi Flick. Der kommentiert derartige Spekulationen weiter nur mit knappen Worten. Er habe einen Vertrag bis 2024, sagt Flick, der sich mit Lukas Klostermann von der Spitze Katars in die Hauptstadt bemüht hat.

Doch in diesem Endspiel gegen Costa Rica, das den Charakter eines DFB-Pokalspiels eines Bundesligaspitzenteams gegen einen Zweitligisten mit einer veritablen Pokalgeschichte hat, geht es auch um die Zukunft des deutschen Fußballs. Alles außer einem Sieg würde die Öffentlichkeit der Flick-Elf nicht verzeihen. Dann könnte es immer noch rausgehen, sollte Japan Spanien schlagen. Das wäre zumindest nicht ganz so würdelos. Suárez weiß um diesen Druck. „Wenn Deutschland rausgeht, hätte das enorme Folgen. Wir sind dafür zuständig, dass es so kommt. Wir werden auf das richtige Ergebnis hinarbeiten“, sagt er und holt dann noch einmal aus. Denn so oder so wird das Spiel besonders.

Zum ersten Mal pfeift bei einer WM eine Frau. Die Französin Stéphanie Frappart wird Geschichte schreiben. Für den Trainer von Costa Rica ein Feiertag für den Fußball. „Ich bewundere alles, was Frauen erreichen“, sagt er: „In diesem sexistischen Sport ist es für eine Frau sehr schwierig, hier hinzukommen. Das ist ein positiver Schritt für den Fußball. Fußball ist für alle. Fußball ist ein demokratischer Sport. Es ist ein demokratischer Schritt, dass jetzt eine Schiedsrichterin das Spiel pfeift.“

Dann beschwört Suárez ein letztes Mal den Ball. Manchmal ist alles gar nicht so kompliziert. Manchmal muss man es nur aussprechen.

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