Familiengerichte und Jugendämter haben nach Einschätzung der Deutschen Kinderhilfe bei Sorgerechtsstreitigkeiten nach häuslicher Gewalt gegen Mütter zu selten das Wohlergehen der Kinder im Blick. „Die Gerichte orientieren sich kaum an strafrechtlichen Ermittlungen. Die mutmaßlichen Täter können dann oft weiter Umgang mit den Kindern haben“, sagte Rainer Becker von der Kinderhilfe vor der Fachtagung „Umgangs- und Sorgerechtsfragen im Zusammenhang mit partnerschaftlicher Gewalt“ am Dienstag in Güstrow.
„Gerichte und Jugendämter sind oft der Meinung, dass das Kindeswohl eher dadurch gefährdet ist, wenn das Kind keinen Umgang mit dem Vater mehr hat.“ Es stelle sich die Frage, ob der Kontakt zum „gefährlichen Elternteil“ wichtiger für das Kindeswohl ist als die dem Kind drohenden Gefahren, sagte Becker. Denn es bestehe die Möglichkeit, dass die Kinder verwirrt sind, beeinflusst werden oder sogar selbst in Gefahr geraten. Becker bezog sich dabei auf internationale Studien, unter anderem des Soziologen Wolfgang Hammer.
Nach Fällen von Gewalt gegen die Mütter müsse der Umgang mit den Kindern so lange ausgesetzt werden, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind oder der Täter nachgewiesen hat, dass er nicht mehr gefährlich ist. Dies könne etwa durch ein Anti-Gewalt-Training oder eine Psychotherapie nachgewiesen werden, sagte Becker.
Es sei auch zu beobachten, dass Gerichte oft der Einlassung von gewalttätigen Vätern folgen, wenn diese den Frauen Hysterie unterstellen. „Dann wird in einer unglaublichen Vielzahl von Fällen den Müttern die Kinder weggenommen.“
Der Kriminalstatistik zufolge wurden im Jahr 2020 in Deutschland mehr als 146.000 Fälle von partnerschaftlicher Gewalt registriert, dabei wurden 139 Frauen und 30 Männer getötet. „In Bezug auf betroffene Kinder wurden keine separaten Zahlen erhoben“, sagte Becker. Allerdings sei festzustellen, dass mindestens jedes vierte Tötungsdelikt gegen ein Kind in Zusammenhang mit einer Trennung der Erziehungspersonen beziehungsweise mit einem Streit ums Sorge- oder Umgangsrecht verbunden war.
Foto: Gestellte Szene zu häuslicher Gewalt/Symbolfoto