Dienstag, 26.November 2024 | 08:49

Wismar: Bürgerschaftsmitglied schreibt „offenen Brief“ und verzichtet auf „Präsenz“

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Die parteilose Britta Fust ist Mitglied der Wismarer Bürgerschaft (gehört aber der Fraktion „Die Linke“ an). Diese kommt morgen zu ihrer turnusmäßigen Sitzung zusammen. Auch in Zeiten von Corona.

Und genau darin sieht Fust das größte Problem – besonders jetzt in Zeiten steigender Fallzahlen im Landkreis Nordwestmecklenburg. Mit einem „offenen Brief“ macht sie nicht nur ihren Standpunkt klar, nein, sie stellt auch unmissverständlich klar, dass sie der morgigen Bürgerschaftssitzung (eben aus diesem Grund) fernbleibt. Wir haben den bereits erwähnten Brief in voller Länge hier dazugestellt…

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Mitmenschen,

im Rahmen der aktuellen Entwicklung der SARS-Cov-2-Pandemie möchte ich vorab auf den aktuellen Lagebericht des RKI verweisen; „Es besteht durch das Auftreten verschiedener Virusvarianten (s.u.) ein erhöhtes Risiko einer erneuten Zunahme der Fallzahlen. … .

Zusätzlich findet in zahlreichen Kreisen eine diffuse Ausbreitung von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung statt, ohne dass Infektionsketten eindeutig nachvollziehbar sind.
Das genaue Infektionsumfeld lässt sich häufig nicht ermitteln. Ältere Personen sind nach wie vor sehr häufig von COVID-19 betroffen. Da sie auch häufiger schwere Erkrankungsverläufe erleiden, bewegt sich die Anzahl schwerer Fälle und Todesfälle weiterhin auf hohem Niveau. Diese können vermieden werden, wenn alle mit Hilfe der Infektionsschutzmaßnahmen die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus verlangsamen. Daher ist es weiterhin notwendig, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiert, z. B. indem sie Abstands- und Hygieneregeln konsequent – auch im Freien – einhält, Innenräume lüftet und, wo geboten, eine OP-Maske (Mund-Nasen-Schutz, MNS) oder eine FFP2-Maske (bzw. KN95 oder N95-Maske) korrekt trägt. Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – sollten möglichst gemieden werden.“

So ist mittlerweile auch im Landkreis Nordwestmecklenburg und der Hansestadt Wismar wieder eine steigende Inzidenz zu beobachten und wir befinden uns aktuell bei einem 7-Tages-Mittel von nahezu 80. Insbesondere das exponentielle Wachstum der Mutation B.1.1.7, mit einer deutlich höheren Ansteigungsrate, lässt die wissenschaftliche Gemeinschaft eine sogenannte Dritte Welle erwarten. Mit dem Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie (GVOBl. Nr. 5 v.29.1.2021.pdf, o. J.) wurde uns sowohl die Möglichkeit der Durchführung von Videokonferenzen als auch von Hybrid-Sitzungen auf kommunaler Ebene gegeben. Noch in der Dezembersitzung der Bürgerschaft wurde von uns kritisiert, dass eben diese gesetzliche Grundlage nicht frühzeitig ermöglicht wurde.

Durch einen frühzeitigen Bürgerschaftsbeschluss für eine digitale Beteiligung durch Live-Streams aus der Bürgerschaftssitzung hat die Verwaltung der Hansestadt Wismar nunmehr auch die notwendige Technik angeschafft, und wir wären auch praktisch in der Lage, eine Sitzung der Bürgerschaft digital als Videokonferenz oder als Hybrid-Sitzung durchzuführen.
Ich verweise hier auf die Vorlage – BA/2021/3819  im Ratsinfosystem der Stadt. Etwaige rechtliche Bedenken u.a. zum Datenschutz wurden im Schreiben des Bürgermeisters vom 22.02.2021 „Vorschlag von Detailregelungen zum Live-und On-Demand-Streaming“ beantwortet.

Mit Verwunderung nehme ich zur Kenntnis, dass eine Bürgerschaft, welche bis vor wenigen Wochen noch in Mehrheit einen Livestream und digitale Beteiligung forderte, nun die entsprechende Technik NICHT nutzt. Das Festhalten an einer Präsenzsitzung der Bürgerschaft am kommenden Donnerstag, 25.02.2021, mag weiter rechtlich möglich sein, sinnvoll ist es m.E. nicht. Die Möglichkeit
einer hybriden Sitzung wurde offensichtlich nicht ernsthaft erwogen. In einer hochsensiblen Phase der Pandemie gefährden wir nicht nur die Teilnehmenden der Sitzung, sondern auch ihr Umfeld und die Entwicklung der Pandemie innerhalb unseres Landkreises. Während wir von den EinzelhändlerInnen und Gastro-Betrieben Geduld und Verständnis für die Maßnahmen zum Infektionsschutz erwarten, nutzen wir eben gerade nicht alle Möglichkeiten zur Vermeidung weiterer Ansteckungen. Einzelne Mitglieder der Bürgerschaft waren noch vor wenigen Tagen auf einem Landesparteitag ohne MNS und Abstand zu Beobachten. (Reißenweber, o. J.) Hier ermittelt weiter das zuständige Ordnungsamt. Andere Teilnehmer sind am morgigen Tag auch auf der Kreistagssitzung des Landkreises NWM zugegen. Ebenfalls in Präsenz.

Die Durchführung der Sitzung mag mit Abstand und MNS sowie in der ausreichend großen Turnhalle der Tarnow Schule als geeignet erscheinen. Beachtet man allerdings die gestiegene Ansteckungsrate der britischen Mutation, wird hier ein Risiko eingegangen, welches für mich nicht vertretbar ist. Ich selbst würde sehr gern an der kommenden Bürgerschaftssitzung teilnehmen und sehe mich in der Ausübung meines politischen Mandates gehindert.
Zwar gehöre ich selbst keinerlei Risikogruppe an, pflege jedoch meine 88-jährige Großmutter in der Häuslichkeit. Weder hat sie selbst bisher eine Einladung zu einem Impftermin erhalten
noch werden in MV pflegende Angehörige geimpft. Ich sehe mich außer Stande, unter der derzeit geplanten Durchführung der Sitzung den Infektionsschutz zu gewährleisten und somit auch die Sicherheit meiner Familie zu gewährleisten.

Auch halte ich die Abfrage zur Entscheidungsfindung durch die Präsidentin nach Mehrheitsmeinung für nicht geeignet. Gesundheitsschutz sollte sich m.E. an dem Schutz von Minderheiten und von besonders vulnerablen Gruppen orientieren. Nicht wenige der Bürgerschaftsmitglieder und der VerwaltungsmitarbeiterInnen gehören zu dieser besonders vulnerablen Gruppe, und der Schutz ihrer Gesundheit sollte an oberster Stelle bei allen Entscheidungen zum Ablauf des Sitzungsgeschehens stehen. Der Verzicht auf die persönliche Anwesenheit von mehr als 60 Personen innerhalb eines Raumes (und sei es auch eine Turnhalle) über mehrere Stunden scheint hier absolut angebracht.

Da dies bisher nicht berücksichtigt wurde, werde ich an der kommenden Bürgerschaftssitzung NICHT teilnehmen und mich mit einer entsprechenden Beschwerde an die zuständige Kommunalaufsicht wenden. Die Durchführung der Sitzung wäre technisch und personell auch unter Beachtung des Infektionsschutzes und der Vermeidung der Anwesenheit einer Vielzahl von Personen möglich gewesen. Nicht aber von Seiten des Präsidiums gewollt.

Ich bitte Sie inständig, dies zu überdenken und die Möglichkeiten der kommunalen Arbeit während der Pandemie auszuschöpfen, zu Hause zu bleiben und ebens- wie die Mehrheit der Bevölkerung – Kontakte zu minimieren und nicht notwendige Kontakte zu vermeiden. Wir alle wollen eine baldige Öffnung der derzeit geschlossenen Infrastruktur, dass Kinder und Jugendliche wieder sorglos in Kitas und Schulen gehen können, und wir sehnen das Ende der Pandemie herbei. Unser Anteil ist es, hier und jetzt nicht noch als Pandemietreiber ein diffuses Infektionsgeschehen zu beschleunigen. Wir haben es selbst in der Hand und können gleichzeitig demokratische Partizipation und kommunales Ehrenamt ausüben.

Hochachtungsvoll
Britta Fust, parteilos
Fraktion Die Linke. in der Bürgerschaft Wismar

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