Der Prozess des Ampel-Bruchs hat sich laut FDP-Chef und Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner über Monate hinweg abgezeichnet. „Es war seit Monaten sichtbar, dass Einigungen schwerer wurden. Das Ende der Koalition hat mich also nicht überrascht. Das stand mehrfach im Raum. Auch bei den Haushaltsberatungen im Sommer schon“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Laut Lindner hätte es damals bereits Separatgespräche zwischen SPD und Grünen ohne die FDP zu einer Vertrauensfrage gegeben.
Seit dem Bruch der Ampel-Koalition verzeichnete die FDP nach Aussage von Lindner einen deutlichen Mitgliederzuwachs. „Wir nehmen vermutlich bald das 2000. Neumitglied auf…“, sagte Lindner. Gleichzeitig hätte es „200 oder 300“ Austritte gegeben, von denen der FDP-Chef wisse. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte dazu, etwas Vergleichbares habe er noch nicht gesehen. Die Grünen berichteten Stand Freitag von 9000 Neumitgliedern seit dem Ampel-Aus, die SPD von 2000 Online-Eintritten. Austritte bezifferten weder Grüne noch Sozialdemokraten.
Seine eigene Entlassung als Bundesfinanzminister bezeichnete Lindner als „Wahlkampftaktik“ von Olaf Scholz. „Damit hat er ein Vakuum ohne handlungsfähige Regierungsmehrheit geschaffen.“ Die schlechteste Regierung der Bundesrepublik, wie CSU-Chef Markus Söder die Koalition im Bundestag bezeichnet hatte, sei die Ampel aber nicht gewesen. Man habe die Inflation bekämpft, die Energieversorgung nach Russlands Angriff auf die Ukraine gesichert, Rekordinvestitionen ermöglicht und die Vernachlässigung der Bundeswehr beendet.
„Aber für die Herausforderungen, vor denen wir stehen – Wirtschaft auf Erfolgskurs bringen, irreguläre Migration konsequent abwenden und die Staatsfinanzen stabilisieren – hatten wir nicht mehr die nötigen Gemeinsamkeiten“, sagte Lindner. Ob er ein gescheiterter Finanzminister sei, würden die Bürgerinnen und Bürger beurteilen. Er selbst habe Erfolge vorzuweisen. Für den Wahlkampf setze er sich das Ziel, Wähler von der AfD zurückzugewinnen. „Es müsste für Union und FDP eine gemeinsame Aufgabe sein, von der AfD erreichbare Wähler für die Mitte zurückzugewinnen. Anders gesagt, wer die AfD wählt, der erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen regieren“, sagte der entlassene Bundesfinanzminister den Zeitungen weiter.
In allen Umfragen gebe es eine Mitte-Rechts-Mehrheit. „Da wäre eine Mitte-Links-Regierung wie Schwarz-Grün kein guter Rat. Ich kämpfe jedenfalls für eine Regierung, die das Land in die Mitte rückt“, sagte Lindner. „Mitte“ heiße für ihn mehr Vertrauen auf die Eigenverantwortung der Menschen, Respekt vor ihren freien Entscheidungen, Eintreten für Eigentum und einen Staat, der Menschen bei Lebensrisiken nicht im Stich, im Alltag aber in Ruhe lasse.
Bei der AfD unterscheide er zwischen den Funktionären der Partei und deren Wählern. „Deshalb gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass man von der AfD Stimmen zurückgewinnen kann. Unter deren Wählerinnen und Wählern sind Menschen, die eine andere Politik wollen, aber kein anderes System“, sagte Lindner. „Die regen sich auf, dass es Gendersternchen gibt und eine von ihnen als linksgrün empfundenen Medienöffentlichkeit, während bei Migration, Bürokratismus und Wirtschaft die Probleme nicht gelöst werden.“
Auf die Frage, ob es Überschneidungen zwischen der FDP und der AfD gebe, antwortete Lindner, dass das Gute im AfD-Programm von anderen abgeschrieben sei. „Zum Beispiel die Abschaffung des Solidaritätszuschlags von der FDP. Was aber die AfD exklusiv vertritt, wie den Austritt Deutschlands aus der EU, das wäre fatal für unser Land.“